Matula - Schwere

Zeitstrafe / Indigo
VÖ: 24.08.2018
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Das Leben ist keine Wurst

Im Rheinland graben die Jecken ihn gern mal aus, diesen doofen Schlager von der Wurst, die bekanntlich zwei Enden hat. Die Glückliche! Oft gibt es nur eines. Wissen die Punker von der Zeitstrafe-Ranch eh schon längst. Höchste Zeit für das schnieke Label, mit Matula nach über vierjähriger Stallzeit ihr zweites Zugpferd wieder mal aus der Box zu lassen. "Schwere" heißt das vierte Album der Hamburger, und gemäß seines Titels zeichnet es den Alltag nach den kurzen Hochphasen, nicht mehr "Auf allen Festen", sondern nach dem Rausch. Dann, wenn das Leben nach der Höhenluft Löcher gräbt und sich eine subtile "Schwere" einschleicht. Die hineinzieht in Gedankenwelten, welche ihre Pforten in ruhigen Momenten öffnen. Während Captain Planet die Resignation zelebrieren, loten Matula die Grauzonen aus, immer ein paar Schritte vor der Kapitulation.

"Team" macht da nicht von ungefähr den Anfang. Hinterfragt das gewohnte Großstadtleben, den Kontrast zwischen Ausschwärmen in Zeilen wie "Wie lang soll es geh'n / Ein Club, ein Getränk, eine Nummer. Komm' zeig Dich!" und Rückzug in der Phase zwischen feierwütiger Mittzwanziger und verwirrter Mittdreißiger, wenn man trotz Suff geradezu nüchtern feststellt: "Zwischen all den Jahren / War diese Stadt schon immer kalt / Ich kann Dir sagen: Es dauert ewig", und zur tollen Bridge noch einmal Luft für den Alltag holt. "Ich zerr Dich durch den Regen, unsere Ecken, unsere Leben. Als wär's immer so gewesen." Antriebslos und von Zweifeln hinsichtlich der Zukunft geplagt, erwacht der Protagonist in "Brachland Sonnenuntergang" inmitten seiner einst grellen, nun von Unkraut zugewucherten Ambitionen. Und unter der vergilbten To-Do-Liste stehen bloß vier Worte: "Ich kann das nicht."

Die Single "Dein Platz ist hier" setzt hingegen mitten im Treiben an, ist an der Oberfläche ein trinkfreudiger und launiger Emopunker, der auch Muff Potters "Von wegen" gut zu Gesicht gestanden hätte. Doch natürlich schildern Matula mit Worten wie "Nur noch eine Runde / Dann hört das Denken endlich auf" vielmehr das wiederkehrende Muster des Feierns als Flucht, die den Kopf vermeintlich atmen lässt, wenigstens für ein paar Stunden. Mit "Schwere" rennen die Hansestädter musikalisch wie textlich bei all jenen Türen ein, die Herrenmagazins zweiter Platte "Das wird alles einmal Dir gehören" noch immer verfallen sind.

Der melancholische Titelsong winkt einem alten Freund zu, der motiviert in die eigene Karriere gerannt ist, sich dort aber wohl verloren hat: "Das bist Du / In deiner schönen Uniform / Mit Ideen gestartet / Mit dem Studium geendet." Doch "Schwere" verharrt nicht im Midtempo, ist gespickt mit tollen Stücken, offenbart immer wieder kleine Wendungen und lässt zum Glück auch schärfer gespitze Gitarren zu. So darf der kratzige Punkrocker "Verletztes Tier" seine Mehrdeutigkeit mit Nachdruck in die Äther dampfen. Zeilen der Marke "Wie ein verletztes Tier / Die Kamera hält drauf / Das ist kein Lauf der Dinge / Das hier ist falsch!" wohnt dann wohl auch Unbehagen über die anhaltende gesellschaftliche und humanitäre Verrohung unserer Zeit inne.

Deutlich wird das Dilemma einer Trennungsphase in "Einzelhaft": "Diese Heimat hier ist falsch / Solange Du noch da bist", scheint die Beziehung tot und der Aufbruchsdrang groß. Nein, es geht nicht weiter. "Der Platz, der da ist / Wird sich nicht mehr füllen / Womit denn?!" Jacke an und raus, bloß nicht zurückschauen. Und doch: "Die Jacke klemmt am Haken / Komm' hier nicht mehr raus / Verdammt, ich schau zurück!" Zeiten zwischen Hin und Her, die einen am Ende dann zurück an die Theke bringen. "All diese Momente / Müssen den Raum füllen zwischen Wollen und Haben", zeichnet die Hymne "Den ganzen Rest vergessen" den Moment nach, wenn nicht mal mehr die Matula'schen "Drei Minuten" helfen, um den Anker zu setzen: "Am Tisch mit Deinen Leuten / Drei Flaschen Rotwein / Und den ganzen Rest vergessen." Das Ende vor Augen, ist auf Zeit spielen eine zutiefst menschliche Taktik.

(Eric Meyer)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Team
  • Verletztes Tier
  • Einzelhaft
  • Den ganzen Rest vergessen

Tracklist

  1. Team
  2. Dein Platz ist hier
  3. Brachland Sonnenuntergang
  4. Verletztes Tier
  5. Einzelhaft
  6. Verhandlungsbasis
  7. Schützengraben
  8. Schwere
  9. Monarch
  10. Den ganzen Rest vergessen
Gesamtspielzeit: 35:17 min

Im Forum kommentieren

eric

2022-09-27 09:44:08

Hach, ja. Ich lege die Platte auch immer mal wieder auf. Ist unterm Strich ihre beste, wenn auch vielleicht mehr Indierock und weniger "Punk" als "Blinker" etc.

Anfang 2020 sah ich den Sänger mal zufällig mit zwei kleinen Kids hinten im Hänger in Altona herumradeln. Die ham' also zu tun. :)

Grizzly Adams

2022-09-26 19:50:06

Hach. Was für ein geglücktes und glücklich machendes Album das doch immer noch ist! :-D
„zwischen all den Jahren“ läuft es immer noch. Und ich finde die Lyrics noch immer unglaublich erfrischend und passend. Packt mich am Kragen und reißt mich hoch. Gibts die Band eigentlich noch? Würde gerne mal was Neues hören. Aber klar, mit dieser Art von Musik die Coronajahre zu überstehen, dürfte schwierig sein… Da Gans natürlich auch nicht sehr viel Airplay.
Aber was ist „Brachland Sonnenuntergang“ für ein fantastischer Song!

Hoschi

2020-01-16 16:56:24

@Asti

Ich find den Vergleich auch arg übertrieben, wenn auch nicht ganz aus der Luft gegriffen.
Klar, Matula machen nichts was es nicht in irgendeiner Form schonmal gegeben hat, aber das machen sie ordentlich.
Zudem sind es dufte, sympatische Typen was man von Revolverheld nicht sagen kann(war mal Stagehand bei denen).
Und ganz ehrlich: Ein Song von denen in den deutschen Single Charts wäre mir 100000x lieber als das, was sich aktuell dort "rumtreibt".
Hör doch mal bei Spotify so rein und du wirst dir ein Bier schnappen wollen und mir zuprosten :)

MartinS

2018-09-04 20:42:20

Also der Vorwurf, Matula wären irgendwie glattgebügelt ist - genau wie der komische Vergleich mit Captain Planet - schon irgendwie unfair. Die waren doch auch auf "Kuddel" oder "Blinker" schon nicht unbedingt Songwriting-Raufbolde, warum sollten sie jetzt damit anfangen?
Ja, textlich ist das stellenweise arg abgenutzt, aber meistens ist das schon ganz gut. Und "Den ganzen Rest vergessen" ist natürlich super.

antibazi

2018-08-25 21:00:07

Nette Songs, etwas mehr Tempo und Eier bei der Produktion hätten sie aber schon vertragen.

Hoffentlich dann live mit Captain etwas "angepasster".

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