Animal Collective - Tangerine reef

Domino / GoodToGo
VÖ: 17.08.2018
Unsere Bewertung: 5/10
5/10
Eure Ø-Bewertung: 4/10
4/10

Blubb, blubb

Es gibt diese Passage auf Animal Collectives "Merriweather post pavilion", im Song "Daily routine". Nachdem sich das Stück in gewohnt hektischer Manier einen kleinen Song zurechtgeorgelt hat, ergreift den Sound eine Lähmung, plötzlich werden alle Töne auf ein Vielfaches gedehnt und gestreckt. Es entsteht ein Sog aus Reizen, Farben und Geschmäckern, der zum scheinbar endlosen Umhertrudeln einlädt. Eine Textzeile wird wie ein Mantra in die Kopfhaut einmassiert. Zeit ist relativ. Für das neue Werk "Tangerine reef" ist die zweite Hälfte von "Daily routine" vor allem deshalb eine Schlüsselstelle, weil sie die erste Selektion darstellt, für wen dieses als visuelles Album konzipierte Ding überhaupt interessant ist. Wer bei der dortigen Psychedelia bereits ausgecheckt hat, kann "Tangerine reef" fast sicher links liegen lassen. Alle anderen – nun, die dürfen zumindest in die nächste Auswahl.

Der Trip, den Animal Collective – das erste Mal ohne Beteiligung von Noah Lennox alias Panda Bear – hier auf Tonband und Leinwand bringen, hat nämlich nichts mehr mit der typischen Hyperaktivität der Band zu tun, schon gar nicht mit deren Verheiratung in Richtung Pop-Strukturen, wie sie vor allem zuletzt das umstrittene "Painting with" vollzog. Entstanden aus einer Konzert-Kollaboration im April 2017 mit dem Duo Coral Morphologic, welches Naturaufnahmen von Korallen und anderen Meeresbewohnern zu künstlerischen Videos umfunktioniert, verschreibt sich der musikalische Teil von "Tangerine reef" ganz der Vertonung von Strömungen, Strukturen und Lebewesen im Wasser. 2018, im "Internationalen Jahr des Riffs" (nicht was Du denkst, lieber Rock-Hörer), wollen sie auf den Schutz ebendieser aufmerksam machen – definitiv eine gute Sache. Und da bereits die letzte EP "Meeting of the waters" hieß, ist das quasi nur ein logischer Schritt. Wenn das Ziel war, die Ungreifbarkeit und Flüchtigkeit von H2O auditiv darzustellen, kann man Animal Collective nur beglückwünschen.

Denn nachvollziehbare Songaufbauten – oder eher überhaupt Songs im klassischen Sinne – gibt es auf "Tangerine reef" kaum bis gar nicht. Die Tracks sind Movements mit fließenden Transitionen, begnügen sich damit, umherzuplätschern oder mal an- und wieder abzuschwellen, Vocals sind spärlich gesät und kommen undeutlich verhallt von weit, weit weg. In flächige Synthwellen plätschern einzelne Tropfen, metallisches Klirren stört die Harmonie, welche sich wiederum in fluoreszenter Beleuchtung erneut einfindet. Intensität bahnt sich leider hingegen selten in den Vordergrund, Ausnahmen wie "Hip sponge", wenn mit dem nervös gerufenen "Got my eyes on the prize / The time is now / Now is the time" ein paar der wenigen verständlichen Textzeilen erscheinen, bestätigen die Regel. Als Zwischenstücke auf den regulären Alben könnte man sich vieles hier vorstellen, etwa das intensive, derangierte Dröhnen in "Coral realization" oder die Parade der Feuerwerkskörper aus "Best of times (Worst of all)", aber in dieser konzentrierten Form strengt "Tangerine reef" an.

Zumindest je nach Befinden. Denn wie auch das Wasser in der Natur nie seine Anordnung behält, begegnet einem "Tangerine reef" mit jedem Mal anders. Bei einem Durchgang entfaltet das Naturschauspiel eine hypnotisierende Wirkung, beim nächsten Hören nervt das langatmige Fischen in trüben Gewässern und wannanders langweilt es womöglich einfach nur. Die visuelle Komponente mit faszinierenden Nahaufnahmen in ästhetischer Brillianz kommt der Musik dabei durchaus zu Hilfe. Doch da an dieser Stelle nur der Audio-Part in die Bewertung einfließt, reicht es lediglich für ein Schulterzucken mit dem Hinweis darauf, dass "Tangerine reef" eine sehr spezielle Platte ist, die vermutlich eher als One-Off-Projekt gesehen werden muss und nichts von der Zugänglichkeit der letzten Werke besitzt. Teils faszinierend, teils frustrierend, teils banal. Aber immerhin im Fluss. Wasser marsch!

(Felix Heinecker)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Airpipe (to a new transition)
  • Hip sponge
  • Coral realization

Tracklist

  1. Hair cutter
  2. Buffalo tomato
  3. Inspector Gadget
  4. Buxom
  5. Coral understanding
  6. Airpipe (to a new transition)
  7. Jake and me
  8. Coral by numbers
  9. Hip sponge
  10. Coral realization
  11. Lundsten Coral
  12. Palythoa
  13. Best of times (Worst of all)
Gesamtspielzeit: 52:52 min

Im Forum kommentieren

Felix H

2018-08-30 21:52:54

Felix H

2018-08-30 21:51:47- Newsbeitrag

Hier das Album mit Visual.

Wertet das Ding deutlich auf.

Master

2018-08-17 07:46:58

Auf Supermarkt- und Bahnhofstoiletten jetzt 24/7 zu hören, damit Wasserdrang schnell konkretisiert und der Besuch ein kurzer wird.

yanqui

2018-08-12 21:58:40

Schade, hätte ich gerne als ADW gesehen!

Armin

2018-08-12 21:41:37- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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