Years & Years - Palo Santo

Polydor / Universal
VÖ: 06.07.2018
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Let's go outside

Wir Homosexuelle leben in einer seltsam gespaltenen Zeit. Oberflächlich betrachtet gibt es viel zu feiern. Die Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert gleichgeschlechtliche Beziehungen ebenso wie hetereosexuelle, es ist mit reichlich Verspätung auch in Deutschland möglich, eine Ehe zu schließen. Doch es brodelt immer noch. Religiöse Fanatiker verwünschen "Perversionen" dieser Art in ihre wie auch immer geartete Hölle, viele Stimmen vom rechten Rand sind entsetzt ob der Gebahren einer "schrillen Minderheit", die doch schon mit viel zu vielen Errungenschaften den Fortbestand des Volkes gefährde. Übergriffe aus diesen Lagern? Unmöglichkeit, sich bei konservativ verstockten Eltern zu outen? In Deutschland und Europa noch keine Seltenheit. Ganz zu schweigen davon, wenn man auf kulturell und geographisch weiter entfernte Länder blickt. Years & Years haben mit ihrem Zweitwerk "Palo Santo" ein großformatiges Popalbum zu diesem Spannungsverhältnis gemacht.

Frontmann Olly Alexander ist ein Posterboy für die "Out and proud"-Haltung, die Lyrics halten damit konsequenterweise nicht hinterm Berg. Und dennoch funktionieren der Sound, der Referenzen und die Themen stets als Callback zu einer Zeit, die mehr als drei Jahrzehnte zurückliegt. Als Künstler wie Elton John, George Michael oder Neil Tennant ihre sexuelle Orientierung noch in Schlüsselmetaphern chiffrierten, als die Disco-Welle den tägliche Kampf gegen Unterdrückung und für das Ausleben die Flucht auf die Tanzfläche als Ausweg anbot. Zur Erinnerung: Schon die erste Years-&-Years-Single "King" vom Debütalbum "Communion" beleuchtete Sex und Liebe mit Bildern aus einer Machtperspektive, "control" reimte sich auf "let me go" – und dazu gab es einen unverschämt eingängigen Synthpop-Hit. "Palo Santo" setzt direkt mit dem tollen Opener "Sanctify" an und vermischt religiöses Schuldgefühl mit fleischlichem Verlangen. "You don't have to be straight with me / I see what's underneath your mask", gibt Alexander der heimlichen Liebschaft zu verstehen und bittet: "Sanctify my body with pain / Sanctify the love that you crave / [...] / Sanctify my sins when I pray."

"Hallelujah", "Karma", "Preacher" – Years & Years sind fixiert auf Spiritualität und Religion. Besonders letztgenannter Song wird selbst für Alexanders Verhältnisse ungewohnt explizit: "You're hiding / You should come on out", fordert er, bevor der Refrain die Anklage an das Doppelleben stellt: "He's a preacher, but he's preaching a lie." "Palo Santo" hält zur Untermalung perfekte, ungemein professionell erschaffene Hits zwischen Disco, Pop und Soul bereit. Die Balance wird dadurch erreicht, dass sich immer wieder ein Song wie "Rendezvous" die große Geste im Refrain verkneift und stattdessen mit gekonnt verschwommenen Backingvocals hypnotisiert. Der ungewöhnlich abgedunkelte und dennoch energische Titeltrack sowie das abschließende, vollkommen mitreißende "Up in flames" entschädigen dafür, dass wenige Stellen wie die mit ihrer nervigen Melodie etwas aus dem Rahmen fallende Single "If you're over me" nicht ganz mithalten können.

Selbstverständlich ist die Menge an Pathos und Theatralik in den Beziehungsverhandlungen trotz der flotten Beats schon ein Brocken. "You must be happy without me / From all the pictures I've seen of you two / Is he a model?", giftet Alexander in "Lucky escape" gegen einen abtrünnigen Ex-Lover. "Hypnotised" findet zu seinem angenehm dosierten Michael-Jackson-Balladenschmalz die passend theatralischen Worte: "Just when I look at you / My heart has been hypnotised." Camp muss man können, um ihn durchzuziehen, und Years & Years haben in diesem Fach mit Bestnote abgeschlossen. "Palo Santo" begeistert zum einen durch seine Kompaktheit, zum anderen durch den inneren Drang, der aus allen Poren durch den Sound nach außen strömt. Dadurch kann es eben nicht nur die queere Community, sondern jeden erreichen und berühren. Zugleich bringt es aber doch deren Perspektive an ein größeres Publikum heran. Ein Album für diese gespaltenen Zeiten? Sicher. Mehr als das.

(Felix Heinecker)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Sanctify
  • Rendezvous
  • Palo Santo
  • Up in flames

Tracklist

  1. Sanctify
  2. Hallelujah
  3. All for you
  4. Karma
  5. Hypnotised
  6. Rendezvous
  7. If you're over me
  8. Preacher
  9. Lucky escape
  10. Palo Santo
  11. Here
  12. Howl
  13. Don't panic
  14. Up in flames
Gesamtspielzeit: 47:42 min

Im Forum kommentieren

edegeiler

2018-07-08 23:28:49

Momentchen mal, hat sich Felix da geoutet? Oder leb ich nur hinterm Mond?
Wie auch immer, Band mag ich jedenfalls.

Armin

2018-07-08 21:39:54- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?

Armin

2018-06-14 19:34:08- Newsbeitrag

Years & Years
Years & Years veröffentlichen neues Album "PALO SANTO" am 06. Juli ++ Am 08. Juli live im Berliner Kesselhaus
06. Juli erscheint das neue Album von Years & Years! Doch nicht nur die Veröffentlichung von "Palo Santo" ist ein absolutes Highlight, denn Years & Years kommen nach Berlin und werden ihr neues Werk live vorstellen! Am 08. Juli, also zwei Tage nach der Veröffentlichung, sind in Berlin und werden den Release im Kesselhaus live performen. Die Tickets sind ab dem 15. Juni erhältlich.
Am gestrigen Mittwochabend feierte ihr Kurzfilm in London Premiere. Die sagenhafte Welt, die diesem Album zugrunde liegt, zeigen Years & Years in diesem aufwendig produzierten Film. Im Video kannst du in den Palo Santo-Film reinschauen.



YEARS & YEARS live
08.07.2018 Berlin, Kesselhaus

https://www.universal-music.de/years-and-years

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