Wingenfelder - Sieben Himmel hoch
Starwatch / SonyVÖ: 08.06.2018
Pferd aufm Flur
die stimme klingt doch total nach fury in the slaughterhouse, oder nicht. ich kann deswegen zum beispiel den zweiten track nicht zu ende hören - bereitet mir körperliche schmerzen. (Forumsuser "captain kidd" anlässlich Dredgs "Catch without arms")
Fury In The Slaughterhouse mögen nach ihrem 30-jährigen Jubiläum in 2017 wieder auf Eis liegen, aber Kai Wingenfelder schmettert mit seiner wohl umstrittenen, jedoch eben auch unverkennbaren Stimme weiter. Im Gegensatz zu seinem Solodebüt "Alone" allerdings mittlerweile mit Bruder Thorsten gemeinsam als Wingenfelder unterwegs – und in deutscher Sprache. Mit dem Wechsel in heimische Wortgefilde – in Fachkreisen als "Reverse Tokio Hotel" bekannt – waren bereits andere erfolgreich. Sarah Connor, Sasha, Donots, Bell Book & Candle, Eloy De Jong, Maite Kelly. Wie klangvoll sich Wingenfelder doch in diese Reihe einfügen! Wie würden wohl alte Fury-Songs wirken, hätten sie Titel wie "Zeit zu wundern", "Jede Generation hat ihre eigene Krankheit" oder "Werd die Tage nicht vergessen"? Das Publikum dankte es jedenfalls mit Platz neun in den Albumcharts für ihre Platte "Sieben Himmel hoch", besser als die letzten drei Studioalben der ehemaligen Hauptband. Ich glaub, mich tritt ein Pferd!
Brechen wir es auf eine einfache Formel herunter: "Sieben Himmel hoch" ist meistens wirklich recht nah an der Beschreibung "Fury In The Slaughterhouse mit deutschen Texten". Gitarrenpop, der selten so rockig wird wie im energischen Opener "Verlieb Dich nicht in mich", dazwischen ein paar reduzierte oder pathetische Balladen. Klingt immer ein bisschen nach Hannoveraner Provinz, aber nicht gänzlich abgehängt. Daran, Kai Wingenfelder in der Muttersprache singen zu hören, gewöhnt man sich recht schnell. "Ich hätte gern / Wir hätten gern / Das größte Bier der Welt", fordert er im R.E.M.-haftigen "Frau von Welt", "Aber von oben sieht das alles ganz anders aus", beobachtet er in "Die Welt ist schön". Punkten können Wingenfelder vor allem in gefühligen Nummern. Das verhallte "Königin der Nacht" bezaubert durch feinste Gitarrenarbeit, beim intimen "Angst und Gewöhnung" und besonders im Kleinod "Nachttankstelle" mag man sogar an Kettcar denken, da passt es auch textlich komplett. "Die Nachttankstelle am Ende der Straße / Neonlichter, wo wir uns heimlich trafen / Die Nachttankstelle am Ende des Weges / Je mehr ich drüber nachdenk', fängst Du an, mir zu fehlen." Schnüff.
Zwischen vielen gelungenen Songs schaffen Wingenfelder vor allem dann Totalausfälle, wenn sie sich aus der Komfortzone wagen, um andere zu imitieren. Warum "Mitten im Leben" als Single ausgewählt wurde, ist offensichtlich: Die plumpe Anbiederung an Soft-EDM und Folktronica à la Felix Jaehn oder Milky Chance ist zeitgemäß und erfolgsversprechend, gerät aber auch mangels guter Hook unfassbar platt. Im bereits seltsam betitelten "O O O (Out of order)" möchte Kai Wingenfelder aus unerfindlichen Gründen wie Udo Lindenberg als Rapper klingen, und die Ausführung ist auf Platte ähnlich schlimm wie die Theorie auf dem Papier. Ab und zu greift Bruder Thorsten zum Mikro, wenn dabei Stuss wie "Ich bin so world weit weg / Von allem, was stört" herumkommt, klingt das wie Echt damals, nur schlechter. Und die Pathos-Sülze im esoterisch dahinsalbadernden "Vom Suchen und Finden" wäre wohl selbst Hobbyphilosoph Thomas D zu blöde.
Doch der Unterhaltungswert von "Sieben Himmel hoch" hält sich trotz überlanger Spielzeit und verschiedener Fehltritte im grünen Bereich. Eine gewisse Schlagerhaftigkeit oder allzu naheliegende Reime brechen sich ihren Bann manchmal in Zeilen wie "Alles eigentlich okay / Nur manchmal tut es auch weh" oder "Mein Leben ist gut so für mich / Vielleicht bin ich ja auch gut so für Dich". Trotzdem sind die Texte im Schnitt besser, als es der schmalzige Albumtitel und einige Songnamen befürchten lassen. Selbst die Bowie-Hommage "Bis nach Berlin" geht trotz ungelenker Anspielungen auf dessen Songs in Ordnung. Einen Tick besser als inhaltsleer skandierende Kollegen wie Max Giesinger oder Mark Forster ist das alles ohnehin mindestens, und die nicht gerade fulminanten englischen Texte von Fury In The Slaughterhouse vermisst man sowieso nicht. "Die Zukunft bleibt leicht verschwommen", singt Kai Wingenfelder. Eigentlich ist die Sache mit "Sieben Himmel hoch" aber klar: So schnell geht diese Stimme nicht weg. Sorry, lieber Captain.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Links fahren
- Königin der Nacht
- Nachttankstelle
- Angst und Gewöhnung
Tracklist
- CD 1
- Verlieb Dich nicht in mich
- Mitten im Leben
- Frau von Welt
- Sieben Himmel hoch
- Links fahren
- Königin der Nacht
- Nachttankstelle
- Irgendwo ist immer Sommer
- O O O (Out of order)
- Gut so für mich
- Bis nach Berlin
- World weit weg
- Wir werden schon sehen
- Vom Suchen und Finden
- CD 2
- Hör bloß nicht auf zu träumen
- Die Welt ist schön
- Nicht für immer jung (feat. Ann Kathrin Kramer)
- Ein ganzes Jahr
- Verbrennen
- Angst und Gewöhnung
- Mitten im Leben (Sunwater remix)
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Warum
2018-07-04 18:13:08
Warum werden jetzt irgendwelche Kommentare von Foren-Trolls in den Rezensionen erwähnt?
frage
2018-07-04 16:31:26
weiß der captain schon von seinem glück?
Jups
2018-07-04 14:59:35
Super Artikel. Hatte erst die Platte durchgehört und erst gelesen, trifft es genau finde ich. Schlagerhaftigkeit und so :)
Armin
2018-07-01 12:00:01- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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- Wingenfelder - Sieben Himmel hoch (4 Beiträge / Letzter am 04.07.2018 - 18:13 Uhr)