
Natalie Prass - The future and the past
ATO / [PIAS] Cooperative / Rough TradeVÖ: 01.06.2018
Was ist eigentlich Zeit?
Die Zukunft und die Vergangenheit also. Natalie Prass richtet den Blick zunächst zurück, schaut anschließend nach vorn und veröffentlicht mittendrin ein zweites Album, das wunderbar als Standortbestimmung taugt. Bezugsoffen jongliert die aus Cleveland, Ohio stammende Künstlerin mit stilistischen Versatzstücken, zeigt ihre Liebe für Soul und R'n'B, Pop, Rock und Folk, ohne dabei allzu großzügig mit der einzig wahren Währung um sich zu schmeißen. Dabei ist sie in Wirklichkeit doch so wütend. Wütend über den Orang(e)-Utan im Weißen Haus, sauer auf all jene, die den zuletzt erlebten gesellschaftlichen Rückschritt mit ihren Kreuzen erst möglich gemacht haben. Um sich Luft zu verschaffen, musste Prass sich von ihrer eigenen Entität lösen. Ein Typ werden. Dafür schlüpfte sie offensichtlich in ein altes Sakko von AfD-Opi Alexander Gauland. Ein Eindruck, der bei Betrachtung des Covers zumindest entsteht. Keine Sorge: Dies bleibt die wohl größte geschmackliche Fehlleistung im Kontext der neuen Platte. Und ist ja ohnehin mit einem Augenzwinkern versehen.
"Oh my" geht gleich zu Beginn eine Liaison mit beweglichem Funk ein, dreht sich um die eigene Achse, groovt unheimlich. Besser noch sind jedoch die Momente, wenn sich Prass dem funkelnden R'n'B hingibt: Lässig, beinahe schon oldschool klingen jene Kompositionen, aus der Zeit gefallen und im Grunde gar nicht so aufrührerisch, wie man meinen könnte, wenn man sich einige jüngere Interviews der Künstlerin ins Gedächtnis ruft. Da wäre zum Beispiel das zartschmelzende "The fire", ein nahezu perfekter Pop-Song, der jüngere Hörer vielleicht an Haim erinnert, ältere werden möglicherweise an Fleetwood Mac denken. Ein Spaß für die ganze Familie also. "Hot for the mountain" startet hingegen mit einem Barpiano, Percussions schmeicheln sich langsam an, Prass' Stimme klingt beschwörend, flehend, ins Entrückte abkippend. Später gesellen sich Streicher dazu, doch die Disney-Haftigkeit des Debüts "Natalie Prass" umgeht sie gekonnt: Ihre Stücke klingen bei aller Fragilität weniger verletzlich, weniger artifiziell.
"Sisters" pumpt dann mächtig Rhythmus durchs Blut, was gut passt, schließlich funktioniert der Song als feurige, weibliche Selbstermächtigungshymne: "I wanna say it loud / For all the ones held down / We gotta change the plan / Come on nasty women / So all the bad girls here / Let's make that clear / And we'll say it fast / We're world wide world class." "Never too late" schwingt sich daraufhin so richtig innig in allerhöchste Herzschmerzhöhen, lässt die Pein physisch erfahrbar werden. Oft benötigt Prass nur minimale Mittel, ein clever akzentuiertes Klavier hier, sachte die Dramaturgie unterstützende Streicher dort, um die maximale Wirkung zu erzielen. Manche Stücke kommen also recht reduziert daher, "Ship go down" beispielsweise, das sich in seinen sechs Minuten selbst schwindelig spielt, bis die ersten Planken langsam bedenklich knarzen. Das finale "Ain't nobody" darf dann ein letztes Mal den Groove entfachen, der den Spagat zwischen dem Hier und Jetzt und dem Vergangenen schlägt. Prass verbindet diese Zeitebenen mit einer ungeahnten Leichtigkeit. Und wünscht sich dabei vor allem eines: eine bessere Zukunft.
Highlights & Tracklist
Highlights
- The fire
- Sisters
Tracklist
- Oh my
- Short court style
- Interlude: Your fire
- The fire
- Hot for the mountain
- Lost
- Sisters
- Never too late
- Ship go down
- Nothing to say
- Far from you
- Ain't nobody
Im Forum kommentieren
Musikkenner
2018-07-02 09:28:23
Underrated. Verdient zumindest 7,5 - also aufgerundet ne 8
Armin
2018-07-01 11:57:52- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
Meinungen?
sweet nothing
2018-06-05 10:38:13
(Noch) keine Rezension?
saihttam
2018-04-02 14:56:10
saihttam
2018-03-01 17:53:16
Das Debüt gefiel sehr und der neue Song tut es auch. Da freut man sich doch drauf.
Natalie Prass Announces New Album, Shares New Song: Listen
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Referenzen
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