Petal - Magic gone
Run For Cover / WarnerVÖ: 15.06.2018
Die Warmblüterin
Achtung, Biologiestunde: Als Kronblätter oder Petalen bezeichnet man die inneren Hüllblätter einer Blüte, die oft auffällig gefärbt sind und die Funktion haben, Insekten zur Bestäubung anzulocken. Ob Kiley Lotz auch die Hortipedia gelesen hat, bevor sie sich für den Künstlernamen Petal entschied? Einige Parallelen lassen sich auf jeden Fall nicht abstreiten, auch Lotz' Musik ist wunderschön, fragil und vielschichtig, es gibt jedoch einen entscheidenden Unterschied: Verhüllt oder mit grellen Farben geschmückt wird hier nichts, "Magic gone" macht nicht im Geringsten einen Hehl daraus, dass es ein Werk zutiefst intimer Introspektion ist. Es ist bereits das zweite Album der aus einer Kleinstadt in Pennsylvania stammenden Mittzwanzigerin und ein noch dringender nötiges Dokument der Katharsis, als es ihr Debüt "Shame" schon war. Unmittelbar nach dessen Veröffentlichung outete sich Lotz als queer, musste zur Behandlung ihrer Depressionen und Angststörungen aus New York wieder in ihre Heimat Scranton ziehen und machte in dieser Zeit zudem noch eine schwere Trennung durch.
"Magic gone" zeichnet diese persönliche Hölle nach, präzise aufgeteilt in zwei Hälften: Die ersten fünf Songs entstanden, als alles um ihre Protagonistin herum kollabierte, die anderen während der Behandlung. Da ist es wenig überraschend, dass der Opener "Better than you" als Petals lautester Song überhaupt daherkommt, ein polternder Pop-Punk-Hybrid zwischen Waxahatchee und Paramore. Im interessanten Kontrast zu seinem extrovertierten Charakter geht es inhaltlich hier um Lotz' Unwohlsein auf der Bühne: "They say, 'hey man, you were great' / But they don't even have the slightest affection / That you're really not doing okay." "Tight rope" schlägt mit seinem Früh-90er-Alternative-Rock in eine ästhetisch ähnliche Kerbe, gibt sich aber ungleich ruhiger und bringt die inneren Turbulenzen noch konzentrierter auf den Punkt: "I felt an ancient scream come out of my mouth." Es ist ein beeindruckender Start ins Album, weil die Musik hier nicht nur Trägermedium für den blanken Seelen-Striptease ist, sondern auch für sich funktioniert. Auch abseits der Texte kommt "Magic gone" mit seinen Melodien, der Dynamik und natürlich der enormen Wirkungskraft von Lotz' Stimme beim Hörer an.
Dennoch stehen im Fokus ganz klar die Reflexionen über die eigene Lebenskrise. Unter anderem wird die zerfallende Beziehung Schritt für Schritt nachverfolgt: In "I'm sorry" beginnt sie zu bröckeln, in "Shy" ist sie endgültig am Ende und in "Shine" – einem Song der aus der Retrospektive heraus geschriebenen zweiten Hälfte – versucht Lotz die Ereignisse einzuordnen, blickt abgehärtet, aber nicht verbittert auf sie zurück. Auch musikalisch wird es immer melancholischer und spärlicher: Endet besagtes "I'm sorry" noch mit einem mächtigen Band-Finale, bestimmen danach nur noch eine Frau und ihre Gitarre fast das gesamte Rest-Album. Die Intensität gipfelt schließlich in der herzzerreißenden Piano-Ballade "Something from me", bevor das ambitionierte "Stardust" die Rhythmussektion für ein unglaublich euphorisches Crescendo zurückholt: "Under streetlight, you are forever mine." "Magic gone" beschreibt einen Bogen der Selbstreinigung und -akzeptanz, weswegen es nur konsequent ist, dass ein lebensbejahendes Lebenslied diesen Sack voller Ängste, Zweifel und mentaler Zusammenbrüche zumachen darf. Es steht damit sinnbildlich für eine Künstlerin, die ihren Leidensweg mit so viel Wärme und Empathie vorträgt, dass das vom Hörer empfundene Mitgefühl auf aufrichtiger Gegenseitigkeit beruht. Wie in der Natur profitiert eben nicht nur die Blüte selbst von ihrer Öffnung.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Tight rope
- Something from me
- Stardust
Tracklist
- Better than you
- Tight rope
- I'm sorry
- Comfort
- Shy
- Magic gone
- Shine
- Carve
- Something from me
- Stardust
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Armin
2018-06-21 20:50:31- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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