Laura Carbone - Empty sea
Duchess Box / Rough TradeVÖ: 01.06.2018
Post-Party-Depression
Flashback ins Jahr 2010: Die NDW-Band Deine Jugend spielt auf dem Heidelberger Herbst, einem Großevent in der sonst beschaulichen Stadt. Der aus den umliegenden Dörfern angereiste Nachwuchs eskaliert zu Zeilen wie "Papa mach ma Platz da / Mama geht jetzt steil". Auf der Bühne steht Laura Carbone, provokant gekleidet und lasziv tanzend, und singt davon, wie sie sich das, was sie will, ganz einfach nimmt. In der Luft liegt die jugendliche Euphorie, dass die Welt einem offen steht – und ein leichter Alkoholdunst.
Zurück im Jahr 2018 geht die Dorfjugend aus dem Kraichgau und dem Odenwald längst zu anderen Lokalhelden steil – falls überhaupt noch irgendwer diesen Ausdruck verwendet. Laura Carbone streift derweil im Musikvideo zu ihrer jüngsten Single "Lullaby" gedankenversunken über einen grauen Strand und singt zu nachdenklich hallenden Gitarren ihren Weltschmerz heraus. Die Rezensentin, sich an den knalligen Auftritt vor acht Jahren erinnernd, ist beeindruckt: Die Partykanone von damals hat sich dem Indie Noir zugewandt! Und zwar nicht erst seit gestern! Vielleicht liegt es daran, dass die aus Sinsheim stammende Carbone nach Berlin gezogen ist, oder daran, dass sie älter geworden ist und dass auch auf die wildeste Feierei früher oder später Katerstimmung folgt. Aus Großstadtmelancholie und Sinnkrise hat Carbone jetzt nach "Sirens" schon ihr zweites Soloalbum gebaut. Mit einer Mischung aus langsamen Melodien und treibenden Rhythmen, und Gitarren, die mal psychedelisch, mal punkig abschweifen.
Die Verwandlung gegenüber damals beachtlich, und sie steht Carbone gut zu Gesicht. Sie zahlte dafür einen hohen Preis. Selbstzweifel und Schreibblockaden erschwerten den Weg zum zweiten Album. Davon erzählt der titelbegebende Song "Empty sea". Inspiriert ist er von dem Märchen "Die wahre Braut" der Gebrüder Grimm, in der eine Prinzessin als Aufgabe, die eine böse Hexe ihr auferlegt hat, einen ganzen See mit einem löchrigen Löffel leeren muss. Der traurige Walzer überträgt das Gefühl der Hoffnungslosigkeit und sinnlosen Anstrengung sehr gut. Eine Schunkelmelodie wie aus einem Jahrmarkt-Fahrgeschäft erklingt dazu wie eine blasse Erinnerung an bessere, längst vergangene Zeiten.
Traurigkeit bietet eben deutlich mehr Potenzial zur Entwicklung und Variation als gute Laune. "Old leaves shiver" scheint, als wolle Carbone eine nachdenkliche Ballade anstimmen, die ihr jedoch immer mehr entgleitet; stattdessen brechen sich Verzweiflung und rockige Aggressivität Bahn und führen den Song zu einem lärmenden Höhepunkt. Versöhnlichere Töne finden sich höchstens in der Dream-Pop-Nummer "Tangerine tree", in der Carbones leicht entrückte Stimme eine liebliche Melodie über flirrende Gitarren und Backgroundvocals hinweg trägt. Manchmal muss man eben ringen, hadern und kämpfen, bis man bekommt, was man möchte. Danach gibt es aber wirklich Grund zu feiern.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Nightride
- Old leaves shiver
- Tangerine tree
Tracklist
- Grace
- Cellophane skin
- The empty sea
- Nightride
- Old leaves shiver
- Crisis
- Tangerine tree
- Who's gonna save you
- Lullaby
Im Forum kommentieren
Blanket_Skies
2019-01-11 23:08:07
@vincent92: Unterschreib ich so. Das Neue lässt den Pop das richtige Stückchen mehr weg - bin gespannt was wir von ihr (und ihrer fantastischen Band) noch zu hören bekommen.
vincent92
2018-06-16 12:48:50
Kaum zu glauben, daß sie früher in Sachen NDW
unterwegs war. Aber das was sie mit Sirens und jetzt mit Empty Sea abgeliefert hat, ist allererste Sahne. Emma Ruth Rundle und Sophie Hunger lassen schön grüßen.
Armin
2018-06-14 20:52:41- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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