Auf - Getimed

Klangbad / Broken Silence
VÖ: 04.05.2018
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Und ab

"Künstliche Verknappung", den Begriff schon mal gehört? Ein Kniff aus der Werbung: Beschränke den Zugriff auf Dein Produkt, dann wird es begehrter. Das jedoch bitte nicht verwechseln mit "künstlerischer Verknappung": Du willst beweisen, dass weniger mehr ist, oder zumindest, dass wenig auch viel sein kann. Das ist das, was beispielsweise zuletzt International Music auf "Die besten Jahre" großartig präsentiert haben, und scheint sich mithin als Trend in der neueren deutschen Rockmusik zu positionieren. Während die Jungs aus Essen sich auch beim Text kurz halten, subtrahieren Auf stattdessen noch ein Instrument. Einzig mit Gitarre und Schlagzeug treten Anne Rolfs und Mathias Brendel an, wenn Sie auf "Getimed" ihre kleinen, feinen Schwänke darbieten.

Das Berliner Duo zelebriert musikalischen Rucksacktourismus, der nicht viel braucht, um große Momente zu feiern. Gerade in den längeren instrumentalen Phasen von "Getimed", wie etwa im Intro von "Diese Stadt" oder den tumultartigen Bridges in "Komm' come on" oder "Tick tack", merkt man, dass hier so gar nichts fehlt, was man als Musikfreund zum Überleben benötigt. Keine Tasten, kein weiterer Rhythmusgeber. Streicher? Go fuck yourself. Dabei werden die Gitarrensoli herrlich unbreitbeinig dargeboten, ansonsten schrammeln die Saiten unaufhörlich in Sonic-Youth-Manier, die Drums passen Lautstärke und Schlagzahl der Stimmung an, schon auch mal mit Doublebass, dennoch aber ohne Allüren. Auf malträtieren ausführlichst ihr kleines Instrumentarium: Im Mittelteil von "Komm lass uns gehen" legt das Duo zum Beispiel einen Spannungsbogen hin, der sich gewaschen hat, "Aus" hingegen hält das Tempo durchgängig hoch und bringt selbst beim bloßen Zuhören ins Schwitzen. Was soll das am Ende dann sein? Lo-Fi-Post-Punk vielleicht.

Entsprechend der musikalischen Ausmalung zeigen sich auch die Themata: Es sind die einfachen, lebensnahen Geschichten, die hier vorgetragen und gehört werden. Etwa die davon, dass die Welt eigentlich ein Dorf ist, wenn Rolfs in "19 Millionen" der Kleinstadt-Tristesse entkommen mag und in New York den Schmidt von nebenan trifft. Oder die kleine Aufmunterung aus "Komm' come on", die schlicht und geradeaus formuliert: "Gib mal noch nicht auf / Du hast 'ne ganze Menge drauf." Anderswo heißt es "memento mori": "Tick tack" hat nichts übrig fürs Hadern, sondern entdeckt die heilsame Komponente der Endlichkeit, während "Mag" im Hier und Jetzt sein simples Glück findet, und das bereits erwähnte "Aus" dem Status Quo ein jähes Ende bereitet. "Eiskristalle" ist in seiner Gesamtheit genau der Song, den man dem Titel nach erwartet, ein Kleinod ohne Scham, dafür mit einer gehörigen Portion Verzückung.

Auf geben an jeder Stelle des Albums Vollgas und transportieren ihre erlebnisreichen Live-Shows so auf Platte. Das Geheimrezept ihrer Sogwirkung ist eng verknüpft mit Rolfs Singstimme, die jedem Gefühlsausdruck eindrucksvoll verfällt. Besonders eindrucksvoll ist das beispielsweise in "Allein" zu vernehmen, wenn Rolfs einen ganzen Geisterchor intoniert, oder im Opener "Getimed", wenn sie völlig ungeschönt vor Freude johlt. Künstlich ist auf "Getimed" ganz wenig, künstlerisch dafür umso mehr. Es bannt Wirklichkeit in ein 45-minütiges Momentum, es ist anstrengend wie das Hamsterrad des Alltags, schmerzhaft wie die Täler, und freudvoll wie die Höhen des Lebens, es ist rund und geschlossen, es ist ein großartiges Album.

(Pascal Bremmer)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Aus
  • Komm' come on
  • 19 Millionen
  • Allein

Tracklist

  1. Getimed
  2. Mag
  3. Komm lass uns gehen
  4. Diese Stadt
  5. Aus
  6. Komm' come on
  7. 19 Millionen
  8. Tick tack
  9. Allein
  10. Eiskristalle
Gesamtspielzeit: 44:37 min

Im Forum kommentieren

Audiophilosoph

2018-06-11 17:49:37

Eine schöne Rezension. Es hätte aus meiner Sicht auch gerne AdW werden können. Vielleicht geht auch deshalb der Link, wie von kingsuede angemerkt, noch dorthin.^^

Robert G. Blume

2018-06-08 12:47:46

Kenne die Band schon lange, aber ich komm mit ihrem Gesang einfach nicht klar. Freu mich natürlich trotzdem sehr für die beiden, wenn sie jetzt Erfolg haben.

kingsuede

2018-06-07 23:04:07

Falsch verlinkt...

Armin

2018-06-07 21:04:07- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?

Audiophilosoph

2018-05-27 00:02:46

Knallhart auf den Punkt, authentisch und bis ins Innerste berührend. Was will man von einem Rockalbum auch sonst?

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