Namika - Que walou
Jive / SonyVÖ: 01.06.2018
Die Spitze des Reißbretts
Heute schon gefühlt? Nicht? Dann wird es Zeit, das zu ändern. Denn wer menscheln will, muss fühlen. Notfalls per Holzhammer. Schlauere Zeitgenossen wissen ihr Werkzeug in Watte zu packen. Es soll ja niemand ernsthaft verletzt werden. Und schön steril bleibt die Angelegenheit auch. Boshaftigkeit beiseite: Wenn Fragen wie "Will sie oder darf sie nicht?" beim Hören eines Albums durchs Hirn wandern, dann ist einiges im Argen. Dabei macht Namikas Zweitwerk "Que walou" an der Oberfläche einen soliden Eindruck: volltönender Sound, souveränes Songwriting, kaum Experimente. Eine Platte wie ein Jahreswagen. Der Blick auf die Credits offenbart, dass wie schon auf dem Debüt "Nador" Beatgees und Fabian Römer federführend waren. Kontinuität sells.
Der wahre Teufel steckt im Phrasenschwein. "Alles was zählt, das kann man nicht zählen", verkündet die in Marokko geborene Sängerin. Derlei Postkarten-Tiefsinnigkeiten tauchen in fast jedem Song auf, was zwar Jan Böhmermann verzücken dürfte, gleichzeitig aber an den Nerven zerrt. Der Strom nichtssagender Gefühlsduseleien will einfach nicht versiegen. Dabei könnte Namika durchaus überzeugend eine Nische füllen. Wenn sie sich traut, die Kalenderspruch-Romantik hinter sich zu lassen, gelingen ihr schöne Songs. Allen voran das ihrem Vater gewidmete "Ahmed (1960-2002)" erzählt eine berührende Geschichte. Auch die unaufdringliche Ballade "Ich will dich vermissen" zeigt, was hier möglich gewesen wäre.
Konjunktiv, leider. Die überwiegende Mehrheit des Materials steckt mindestens bis zur Hüfte im Neuen Deutschen Biedermeier, Pseudo-Sozialkritik inklusive. Dass es sich so nur schlecht tanzen lässt – geschenkt. Vor allem, wenn das Tempo ohnehin überwiegend im gemütlichen Bereich angesiedelt ist. Dabei zeigen Songs wie "Zirkus", dass Namika beschwingtere Rhythmen durchaus gut zu Gesicht stünden. Meist dominiert jedoch der leiernde Singsang, der schon "Lieblingsmensch" zu einer Geduldsprobe werden ließ. Gerade jene lyrischen Ergüsse, die zeitgeistig und verschmitzt wirken sollen, entwickeln bisweilen eine unfreiwillige Komik. Kostprobe: "Es war die schönste Zeit / Naja, wie dem auch sei / Ich wollte dir nur kurz mal schreiben / Bis hoffentlich bald, kleiner als drei." Doppelpunkt, Schrägstrich.
Wie sich der brutal gutaussehende Frauenversteher Farid Bang auf das Album verirren konnte, kann nur die Plattenfirma beantworten. Nennenswerten Schaden richtet er in dem den Großmüttern gewidmeten "Hände" allerdings nicht an. Doch genau dieses Feature legt schonungslos offen, welche Mechanismen am Werk sind. Nicht unbedingt auf inhaltlicher, sondern auf strategischer Ebene: Guck an, der harte Rapper macht was mit der empfindsamen Songpoetin. Voll die Grenzüberschreitung. Nahezu crazy ist das. Die eigentliche Perfidie besteht darin, dass sich die Verantwortlichen nicht einmal mehr Mühe geben müssen, ihre Motive zu verschleiern. "Wo bleibt die Tiefe?", fragt Namika in "Roboterliebe". Eine gute Frage. Leider bleibt sie eine Antwort schuldig.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Ahmed (1960-2002)
- Ich will Dich vermissen
- Zirkus
Tracklist
- Que walou
- Alles was zählt
- Je ne parle pas français
- Ok (feat. Lary)
- Programm
- Liebe Liebe
- Dschungel im Kopf
- Parkbank
- DNA
- Ahmed (1960-2002)
- Hände (feat. Farid Bang)
- Comic
- Roboterliebe
- Kronleuchterlicht
- Ich will Dich vermissen
- Zirkus
Im Forum kommentieren
Ernie
2018-12-08 08:41:01
schlimmer als Betroffenheitstexte finde ich die Musik, die klingt, als könnte man sie in ein paar Stunden am PC produzieren. Habs gerade nicht glauben können, dass in diesen Streamingzeiten ein gewisser Luciano mit drei Titeln in den Top 20 vertreten ist.
Namika hat mit Lea und Nura bei der Krone um die beste deutsche Künstlerin konkurriert...sagt ja wohl schon alles aus. Bei PT werden ja die guten Ausnahmen besprochen, aber die Entwicklung ist traurig und es tut mir fast leid, womit die Jugend zugemüllt wird.
Ta gueule
2018-07-04 15:26:28
Ich als sprachlich gemeinter muss es einfach hassen.
Rainer Winkler
2018-06-24 11:56:33
Müllmucke für Müllmenschen
F.
2018-06-24 11:34:25
nur weil das jetzt kein Clubbanger Album ist, muss es nicht schlecht sein. Die Texte sind auf jedenfall ausgefeilter als bei anderen deutschen Acts wie zb. Mark Forster. Uebrigens, ist sie gebuertige Frankfurterin. Erstmal ordentlich die facts checken.
kriticar
2018-05-31 18:39:31
10/10 für die Rezi. Zufällig lief mal was von der neuen Platte im Radio (das Medium mit der 2:1 Mischung aus Werbung und Musik für deinen Körper, ihr wisst schon), hat genervt. Namika ist so betroffen, dass es mir schon wehtut.
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