Milliarden - Berlin

Vertigo / Universal
VÖ: 01.06.2018
Unsere Bewertung: 5/10
5/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Ich will nicht nach Berlin

Gefühlte Wahrheit: Deutsche Filme gehören entweder zur Kategorie Kuschelromantik mit Til Schweiger oder sind depressiv gefärbte Indie-Movies in zu kalten Blautönen. Ähnlich verhält es sich mit deutschsprachiger Musik. Untergrund Post-Punk oder Helene Fischer. Friends Of Gas oder Die Toten Hosen. Die Nerven oder Drangsal. Morlockk Dilemma oder Bausa. Alles dazwischen war Rio Reiser oder kommt inzwischen aus Österreich.

Oder macht's wie Milliarden. Das Berliner Duo, welches laut Presseinfo gar kein Duo sein möchte, klingt bereits im Eröffnungstrack "Baukran" ihres zweiten Albums "Berlin" wie eine Mischung aus Ton Steine Scherben, Selig und Wanda. Die Zeilen "Komm, wir machen das jetzt" und "Ich hab Tickets gekauft" sorgen bereits nach wenigen Sekunden für wohlige Aufbruch-Mentalität. Die Feel-Good-Attitüde der Texte trifft dabei auf Schunkelschlager mit E-Gitarren. Der zweite Song "Berlin", vom Album "Berlin", ist die tausendste Liebeserklärung an, nunja, Berlin. Wehleidig wird den alten Zeiten hinterher gesungen, als die deutsche Hauptstadt noch dreckig, noch frei war, aber "die beste Zeit ist jetzt vorbei." Quintessenz: nach Leipzig ziehen? Natürlich nicht – denn "du bist noch nicht verloren." Und auch wenn Berlin vielleicht nicht mehr die coole Stadt von vor zehn Jahren ist, schwören Milliarden so lange in ihrer Heimat zu bleiben, wie sie nur können. Nett, aber vor allem textlich dann doch zu vorhersehbar. Kraftklubs Berlin-Abhandlung war da spannender.

Die Ähnlichkeiten mit Wanda sind spätestens im dritten Song "Rosemarie" nicht mehr zu leugnen. Es wirkt so, als gäben sich Milliarden nicht einmal Mühe, nicht wie eine Kopie zu klingen. Während beim Österreicher Vorbild vor allem der Dialekt trotz der schlageresken Reime den gewissen Sexyness-Faktor versprüht, wirkt bei Milliarden das Haus-Maus-Schema teilweise unbeholfen bis peinlich. Beispiel aus dem Song "JaJaJa": “Ich hab so Lust mich zu verlieren / Möchtest du mit mir randalieren? / Ja, ja, ja / Und sie ist wieder da / Ja, ja, ja / Die Sucht nach der Gefahr.“ Der beste Song vom Album ist zugleich der sowohl musikalisch abwechslungsreichste als auch lyrisch interessanteste: In "Ultraschall" thematisieren Milliarden eine Abtreibung und die dazugehörigen Gedanken. Das Lied ist überwiegend im Singer-/Songwriter-Stil gehalten und mündet in ein dynamisches E-Gitarren-Solo. Einziges Manko am Song sind die im Refrain wiederkehrenden "yeah"s, welche die Ernsthaftigkeit des Themas leider etwas zunichte machen.

Schlecht ist "Berlin" jedoch nicht. Milliarden schielen straight in Richtung Mercedes-Benz-Arena, große Hallen und beste Festival-Slots. Die Songs sind eingängig und die catchy Refrains bereits beim Anklingen mitgröhlbar. Wenn Stadiontauglichkeit das erklärte Ziel der Band war, dann wurde es erreicht. Ben Hartmann trägt die Texte dank seiner rauen und sich leicht überschlagenden Stimme wie in "Regenbogen" emotional vor, so dass diese trotz ihrer Einfachheit authentisch wirken. Leider sind fast alle Songs nach dem gleichen Schema aufgebaut und bestehen neben etwas Strophe zu 80 Prozent aus Hook, so dass sich diese bereits nach kurzer Zeit abnutzen. Schade, denn obwohl vor allem Ben Hartmanns Stimme und die liebevolle Gitarrenarbeit zum Zuhören einladen, überwiegt am Ende doch eher Helene Fischer anstatt Rio Reiser.

(Sebastian Schiller)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Die Toten vom Rosenthaler Platz
  • Ultraschall
  • Regenbogen

Tracklist

  1. Baukran
  2. Berlin
  3. Rosemarie
  4. Roberto (Interlude)
  5. Die Toten vom Rosenthaler Platz
  6. Ultraschall
  7. Morgen (Interlude)
  8. Über die Kante
  9. JaJaJa
  10. Milliarden Milliarden
  11. KMN (Interlude)
  12. Regenbogen
  13. Stich für Stich
  14. Ich vermiss Dich
Gesamtspielzeit: 43:04 min

Im Forum kommentieren

bruddler der hetzer vum tal

2018-06-03 15:20:38

hat das was mit der verschuldung zu tun?

Jawoll

2018-06-03 14:20:27

"Untergrund Post-Punk oder Helene Fischer. Friends Of Gas oder Die Toten Hosen. Die Nerven oder Drangsal. Morlockk Dilemma oder Bausa. "

Schöner Seitenhieb gegen Drangsal!

999Robota

2018-06-03 13:47:21

Der 1. Absatz... die beste Rezi 2018 bisher!

kudl74

2018-06-01 19:23:22

Naja, leider muß ich dem Rezensenten widersprechen, das diese Band wandaesk sich anhört. Auch die großen Arenen sehe ich noch nicht, da dann doch zu eigenwillig und speziell. Finde einen Vergleich mit AnneMeyKantereit eher noch treffend ( die allerdings größere Hallen beschallen). von mir 6-7 P.

Armin

2018-05-31 17:56:54- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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