Fewjar - Gamma
Smile / SoulfoodVÖ: 25.05.2018
Anti-Social
Fewjar haben ein Problem, das eigentlich keines sein sollte: Man kennt sie aus der deutschen Youtube-Szene. Dadurch haben sie natürlich gerade in der Millenial-Generation eine Menge Zulauf, müssen aber gleichzeitig stets mit dem Vorurteil leben, auf einem Level mit all den Bibis, Lionts und KSFreaks zu sein. Wer sich allerdings auch nur für fünf Sekunden auf "Gamma" einlässt, dem sollte sofort klar werden, dass Fewjar mit den oberflächlichen Aushängeschildern der "Abbonieren, liken, teilen"-Kultur ungefähr so viel gemein haben wie die Politik von Donald Trump mit der von Bernie Sanders. Denn das Trio aus Berlin erschafft im Gegensatz zu seinem zweifelhaften Umfeld tatsächlich Kunst, die nicht nur "für Youtube", sondern auch davon losgelöst beeindruckend vielschichtig ist.
Dabei setzen Fewjar vor allem auf ein Gerüst aus flächigen 80er-Synthies, die meist als groovig-treibendes Stilmittel dienen und lieber isoliert hervorstechen, als in breiten Soundwänden zu ertrinken. Die besonders reizvollen Komponenten spinnt die Band aber in vielfältiger Form um dieses Grundgerüst herum. Hervorragend gelingt das zum Beispiel im Titeltrack "Gamma", der in seine flackernde Elektronik ganz subtil eine funkige Basslinie integriert, die der eigentlich eher unaufgeregten Grundstimmung des Songs eine stark rhythmisierte Komponente verleiht. Das von schnarrenden Synthies und verzerrten Blechbläsern getragene "Structured" schreckt in seinem C-Teil nicht einmal vor einer Rap-Einlage zurück, "How many of you are in there?" bedient sich gar bei Soul-Elementen, bevor es im grotesk verlangsamten A-capella-Ausklang abebbt.
Und trotzdem werden Fewjar vor allem dann wirklich groß, wenn sie sich aus der betonten Reduktion lösen und in atmosphärische Sphären tauchen. Bestes Beispiel hierfür ist "(This is not) worth it", das über seine gesamte Dauer eine kontinuierliche Klimax verfolgt, die von minimalistischen Akustikgitarren-Anschlägen in einen synthetischen und bläserlastigen Höhepunkt steuert. Der Sound der Band klingt gerade in solchen Augenblicken wie eine entschleunigte Version von WhoMadeWho, agiert zwar behutsamer, aber ebenso intensiv. "Of nothing" unterstreicht das mit hymnischer Geste, die zur Abwechslung mal nicht von Synthies, sondern vor allem von Gitarre und Klavier getragen wird.
Der finale Schlusspunkt von "Gamma" setzt schließlich nach etwas über 40 Minuten ein und vollendet ein Werk, das sich in seiner Beschaffenheit in aller Deutlichkeit gegen begradigte und standartisierte Lifestyle-Attitüden wehrt. Es wirkt, als würden Fewjar die Energien ihres Social-Media-geprägten Umfelds wohl doch irgendwo in sich aufsaugen, aber nicht, um sie zu imitieren, sondern um einen entscheidenen Kontrapunkt zu fertigen. Deswegen funktioniert "Gamma" trotz seiner Vertracktheit vor allem als ersehnte Befreiung aus einer Welt, in der gesellschaftlicher Pluralismus einen äußerst schwierigen Stand hat. Eine Revolution dagegen werden Fewjar wohl kaum anzetteln, aber immerhin sind sie eine rettende Insel für diejenigen, die das gern tun würden.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Of nothing
- (This is not) worth it
- Skeleton
Tracklist
- Skeleton
- Gamma
- How many of you are in there?
- Of nothing
- Structured
- Despite this
- (This is not) worth it
- Treasure
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BVBe
2020-02-19 11:25:09
Habe die Berliner gerade für mich entdeckt. Sehr geschmeidiger Sound, aber nicht oberflächlich, abwechslungsreich, aber doch mit Wiedererkennungswert. Artpop, irgendwo zwischen THE NOTWIST und PHOENIX, aber doch eigenständig. Und unter all ihren Veröffentlichungen ist GAMMA ein richtig schönes Sommeralbum (im positiven Sinne)!
manfredson
2018-05-24 23:52:11
Hat mich sehr gefreut, dass das Album hier Beachtung gefunden hat. Ich verfolge die Band schon lange, sowohl ihre Musik als auch das ganze Drumherum auf YouTube. Unheimlich sympathische, leidenschaftliche Musiker, und das letzte Album "Until" war absolut großartig, selten so eine gute Kombination aus Elektronik, Artrock und fast schon kammermusikalischen Passagen gehört. Auf "Gamma" bin ich sehr gespannt, scheint ja mal wieder ein Stilbruch zu sein, aber daran bin ich bei denen ja eh gewöhnt. Schlecht wirds garantiert nicht, dafür klang das Albumsnippet schon zu spannend.
Armin
2018-05-24 20:46:10- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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- Fewjar - Gamma (3 Beiträge / Letzter am 19.02.2020 - 11:25 Uhr)