
Goldmund - Occasus
Western Vinyl / CargoVÖ: 25.05.2018
Klavier sucht
Keine These der Musikwissenschaft könnte das Phänomen der experimentellen und minimalistischen Neo-Klassik im Moment fassen. Vermutlich. Denn diese Musik lässt sich fast nur in ihrem popkulturellen Kontext verstehen, in dem Lärm, in der Hektik dieser Tage des 21. Jahrhunderts. Und so flüchten sich Kritiker mehr und mehr in Bilder, Metaphern und Vergleiche, um die Emotionalität im Sound von Künstlern wie Bing & Ruth und Nils Frahm fassen zu können. Was dem Hype keinen Abbruch tut. Die Hallen sind voll. Die Alben in den Jahreslisten weit oben dabei. Nur jene Platten von Keith Kenniff nicht. Der Komponist aus Pennsylvania kam mit seiner Musik trotz diverser Projekte nicht über kleine Kreise hinaus. Nun folgt "Occasus", der Abstieg, wie es heißt. Kein Sepia mehr wie auf früheren Alben, stattdessen folgt auf seiner neunten Platte als Goldmund die Dunkelheit, die sich langsam ausbreitet. Die Melodien wollen keine impressionistischen Momentaufnahmen mehr abgeben, stattdessen drückt Kenniff etwas Gespenstisches, etwas Wunderschönes aus.
Seine Musik richtet sich deutlich nach außen, will dabei aber keine Aufmerksamkeit um jeden Willen. Die fünfzehn Songs trägt meist nur das Klavier, ein Synthesizer darf manchmal ein paar düstere Momente aus den Zwischenräumen heben. "No story" löst sich so mit fortlaufender Dauer fast gänzlich auf. Allerdings erschließt sich Kenniff die Atmosphäre von "Occasus" eben über die Melodien, über Songs wie "Bounded", in dem die Stille zum wichtigen Teil des Songs wird. Kenniff spielt mit diesen Momenten. Bei aller Melancholie, aller Zerbrechlichkeit: Kenniff webt in seinen Sound eine beeindruckende Leichtigkeit. Damit verortet er sich näher an Meistern des Ambient wie Ryuichi Sakamoto und William Basinski, obwohl die neue Klassik von Frahm sich ebenfalls als Referenz anbietet. Und bitte auf die Wortwahl achten! Denn Kenniff hat einen eigenen Ausdruck, der sich von Sakamoto und Basinski in seiner Körperlichkeit, seiner Dichte deutlich unterscheidet.
Auf dem Papier mag Kenniffs Musik sich sehr einfach darstellen, vielleicht lässt sie sich decodieren, aber "Occasus" ist mehr als seine einzelnen Töne. Es ist ein Gegenentwurf zum nervösen Pop. Und dabei mitnichten Avantgarde. Dafür fehlt es Kenniffs Herangehensweise an subversiven Momenten, an Dingen, die aus dem Leben reißen, die Abgründe auftun. "Occasus" ist ein Abstieg, kein Untergang, kein Marsch durch die Hölle. Ein überschrittener Zenit liegt wenige Sekunden in der Luft, bevor dieses Album einsetzt. Selbst wenn "Moderate" arg ins Moll geht, kratzt "Occasus" nicht am Existenzialistischen. Das Klavier bleibt Mittel, um sich die Welt zu erschließen, nicht mit ihr zu verschwinden. Ein Abgesang auf Unbekanntes. Eine Leere, die keine These braucht. Eine Leere, die einfach vorhanden ist. Zwischen den Tönen, zwischen den Dingen. Es lässt sich nicht festhalten. Es verschwindet, vergeht. Ein Album für Menschen, die Gestalten und Formen im Nebel lieben. Das muss dieses Mal Phänomen genug sein.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Bounded
- Circle
- No story
Tracklist
- Before
- Above
- Bounded
- Breaking
- As you know
- Circle
- History
- Migration
- Radiant
- No story
- Thread
- Terrarium
- Turns
- Moderate
- What lasts
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Sophistiker
2018-05-24 09:25:56
Thesen? Können überhaupt nichts fassen. Eher Theorien.
Armin
2018-05-17 22:22:39- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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- Goldmund - Occasus (2 Beiträge / Letzter am 24.05.2018 - 09:25 Uhr)