Courtney Barnett - Tell me how you really feel

Marathon / Kobalt / Rough Trade
VÖ: 18.05.2018
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Buchstabensuppe über der Stadt

Feuer mit Feuer bekämpfen? Kann irgendwie jeder. Sich auf der Niveau-Leiter noch eine Stufe weiter nach unten begeben und dem Gegner von dort aus mit Schmackes in die Weichteile treten? Viel zu einfach. Den eben vom Gegenüber noch ins eigene Gesicht geschleuderten Rotzeball um die eigene Spucke anreichern und mit einem regelrecht süffisanten Lächeln auf den Lippen dorthin zurück befördern, wo er herkam? Das wirkt dann doch irgendwie charmant. Weiß auch Courtney Barnett: "He said 'I could eat a bowl of alphabet soup and spit out better words than you' / But you didn't / Man, you're kidding yourself if you think the world revolves around you", haut sie da irgendeinem Internettroll aus einer anonymen Kommentarspalte in "Nameless, faceless" entgegen. Treffer, versenkt.

So viel Buchstabensuppe kann man gar nicht fressen, wie Barnett offenbar kotzen möchte. Und sie lässt es ihre Hörerschaft wissen mit ihrem zweiten und passend betitelten Solowerk "Tell me how you really feel", dem Nachfolger ihrer 2017 veröffentlichten Kurt-Vile-Zusammenarbeit "Lotta sea lice". Schnell wird klar: Barnett, mittlerweile auch schon 30 Jahre alt, ist erwachsener und reifer geworden und mit ihr auch ihre Musik. "Tell me how you really feel" ist größer als das Debüt "Sometimes I sit and think, and sometimes I just sit", pointierter als die Songs mit Zottelbär Vile und doch auch nach wie vor so authentisch, wie man es von der Australierin erwartet hätte. Nur dass sie jetzt eben endgültig nicht mehr nur rumsitzt (und manchmal auch nachdenkt), sondern auch mal lautstark durch das Zimmer fegt. Oder durchs ganze Haus. Oder gleich durch die Stadt, in die Welt hinaus, wohin auch immer es sie gerade drängt. Dass jene Welt, die sie nun bereisen kann und will, nicht immer gleichzeitig ihr Lieblingsort ist, lässt Barnett unmissverständlich wissen.

Im eingangs erwähnten "Nameless, faceless" etwa, in dem sie von den leider doch vorhandenen Ängsten als Frau berichtet und dabei mal eben die Autorin Margaret Atwood zitiert: "I wanna walk through the park in the dark / Men are scared that women will laugh at them / Women are scared that men will kill them / I hold my keys between my fingers." Oder wenn sie im schrammlig-einschneidenden "City looks pretty" ihre depressiven Gedanken nicht nur offenlegt, sondern mit viel Strom und krachenden Drums raus vor die Tür jagt: "The city looks pretty when you've been indoors / For 23 days I've ignored all your phone calls." Bei anderen Stücken, wie etwa der noise-poppigen Neunzigerjahre-Alternative-Hymne "Crippling self doubt and a general lack of self-confidence" oder auch "I'm not your mother, I'm not your bitch" mit ordentlich Dreck unter den ungeschnittenen Fingernägeln, reichen die Songtitel allein fast schon aus, um hier eine ungefähre Ahnung von dem zu bekommen, worum es Barnett wirklich geht. Dass sie wie im entspannt-verpeilten "Walkin' on eggshells" dennoch auch mal vorzugeben versucht, als sei ihr eh alles schnuppe, macht sie nur umso menschlicher – und damit sympathischer.

Doch auch, wenn vieles sich davon liest wie die Gehversuche von einer Frau, die noch nicht genau weiß, wer sie ist, scheint Barnett auf "Tell me how you really feel" sich genau dessen sicher zu sein – der wahre Trick liegt zwischen den Zeilen, in denen sie zeigt, wer sie eben nicht ist oder gar sein mag. Kaum einer der Songs schafft das besser zu demonstrieren wie der vergleichsweise zurückhaltende Opener "Hopefulessness", einer Mischung aus Taubheit ob des Schmerzes und Akzeptanz jener Dinge, die sie nicht ändern kann, hier ein bisschen lustig, in der nächsten Zeile schon wieder melancholisch wie der so oft gefühlte Kloß im Hals. Echt kann man das nennen, wahlweise auch realistisch, in jedem Fall aber nahbar. So auch wie der zum Eröffnungstrack im absoluten Gegensatz stehende Abschluss-Twang von "Sunday roast", der nicht nur ob der besungenen Hausmannskost ein angenehmes Gefühl des Angekommenseins vermittelt, von Heimat, von Geborgenheit. Sondern vor allem aufgrund seiner hier so befreit klingenden Interpretin. Courtney Barnett mag in die große weite Welt hinausgegangen sein. Aber auch sie isst ihre Buchstabensuppe offensichtlich am liebsten an genau einem Ort: daheim.

(Jennifer Depner)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Hopefulessness
  • Crippling self doubt and a general lack of self-confidence
  • Sunday roast

Tracklist

  1. Hopefulessness
  2. City looks pretty
  3. Charity
  4. Need a little time
  5. Nameless, faceless
  6. I'm not your mother, I'm not your bitch
  7. Crippling self doubt and a general lack of self-confidence
  8. Help your self
  9. Walkin' on eggshells
  10. Sunday roast
Gesamtspielzeit: 37:22 min

Im Forum kommentieren

dieDorit

2020-04-11 07:47:49

Kann ich auch bestätigen. Mein einziger Courtney Barnett Song im 2010er Song-Poll. Ihre anderen sind aber auch gut.

Underground

2020-04-11 07:33:18

bestätigt

nörtz

2020-04-11 01:51:40

"Need a little time" ist toll. Wer bestätigt mir das?

Es wird wohl mal Zeit, dass ich mir mal ihre anderen Alben anhöre.

Armin

2018-08-23 18:58:27- Newsbeitrag




Courtney Barnett hat ein neues Video zu ihrem Song "Charity" geteilt. Kameramann Ashley Connor durfte einen Tag lang, beim Aufenthalt von Courtney Barnett und ihrer Band in Toronto, Mäuschen spielen und hat das Video auf 16mm Film gedreht. Immer wieder eingestreut werden Aufnahmen einer stürmischen Live-Darbietung des Songs.
"Charity" stammt vom Album "Tell Me How You Really Feel", das im Mai 2018 erschienen ist. Im November wird Courtney Barnett für zwei Konzerte nach Berlin und Wiesbaden kommen.

Spaßprophet

2018-06-12 13:19:32

Hi Courtney, I feel well.

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