
DJ Koze - Knock knock
Pampa / Rough TradeVÖ: 04.05.2018
All inclusive
Es gibt große Meisterwerke, bei denen es zur Besonderheit wird, wenn man sie auflegt. Das macht man wenige Male im Jahr, vielleicht noch seltener. Weil sie so intim und ergreifend sind, mehrere Stunden umspannen oder auch anstrengend sein können, womöglich sogar alles zugleich. DJ Kozes zweites Album "Amygdala" ist ein Meisterwerk, ein sehr großes in der Tat, und dennoch scheint es der komplette Gegenentwurf zum eingangs beschriebenen Exemplar zu sein. Beim Rezensenten ist wohl keine Platte so oft in Rotation gewesen wie die Track-Sammlung, die Stefan Kozalla nicht nur hierzulande zu einem der meistverehrten Stars der Elektro-Szene machte, sondern von einer berüchtigten US-Musikseite höchstpersönlich das Label "Best new music" verliehen bekam. Warum? "Amygdala" gibt genau das zurück, was man gerade investieren möchte. Man kann es beim Spieleabend oder zum Vorglühen auflegen, es taugt als Soundtrack zum Jogging oder Spazierengehen, entfaltet sich aber ebenso bei voller Konzentration mit Kopfhörern. Kurzum: Das Album geht immer.
Dass der offizielle Nachfolger "Knock knock" hohe Erwartungen erfüllen muss, braucht man nun nicht durchkauen. Zur Erleichterung: Viel anders macht Kozalla hier nicht. Die inhärente Niedlichkeit seines Signature-Sounds findet sich auch im Quieken und Zirpen aller Ecken der detailverliebten Songs wieder, während das Gesamtgefüge einmal mehr mindestens die Party des Jahrhunderts ausruft. Party – das heißt in diesem Fall nicht stupide Komasäuferei und billige Bollerbeats, sondern vielmehr die Wohlfühl-Variante davon. "Knock knock" bietet eine Wundertüte an Geschmacksrichtungen, lädt zahlreiche Gaststars ein, schmeißt Runden, alles und alle inklusive – und dennoch lässt keiner der immerhin 16 Tracks einen Zweifel daran, zu welchem Album er gehört. Da darf also Róisín Murphy erst in "Illumination" lautstark "I need a bit of light here" fordern und sich in "Scratch that" wie ein Kätzchen durch den Song schnurren, ohne sich mit dem Rap von Speech (Arrested Development) im vor sich hin pfeifenden "Colours of autumn" oder Lambchops Kurt Wagner beim Träumen zu beißen.
Vermutlich nur weil er es kann, verschweigt Koze mit Bon Ivers Justin Vernon das wohl bekannteste Feature in der Tracklist, nennt den Song jedoch verschmitzt "Bonfire", der Schelm. Nötig ist Vernon hier nicht wirklich, denn der Star sind sowieso die desorientierenden Effekte, die das dröhnende Pumpen unterstreichen und den Track zu einem der ungewöhnlicheren, aber entlohnendsten machen. Das wunderbar dahingleitende "Pick up" braucht dagegen nur ein paar zerhackte Samples zur Glückseligkeit und führt damit die Linie der ersten Single "Seeing aliens" fort. "Lord knows" ruft indes den Kanye West der ersten drei Alben sogar ins Gedächtnis, Stichwort "Chop up the soul Kanye". Falls der mal über dieses Instrumental rappen sollte – hier stand es zuerst. "Fanbedienung" ist ein blödes Wort, aber exakt das findet auf "Knock knock" statt. Auf einem so hohen Niveau, dass der Großteil der restlichen Szene nur anerkennend staunen kann. Die Einflüsse etwas breiter, die Palette noch bunter, aber die DNA bleibt dieselbe.
Und doch wächst DJ Kozes Bestandsprüfung ganz am Ende noch einmal über das zuvor Geleistete hinaus. "Amygdala" holte Hildegard Knef persönlich aus den Archiven und man ist versucht, bei "Drone me up, Flashy" einen Blick auf die Liner Notes zu werfen, ob die Dame nicht doch ein zweites Mal verwurstet wurde. Nein, "Sophia Kennedy" steht da bei den Vocals. Die US-Amerikanerin lebt in Hamburg und kann vor allem auf Deutsch dieses unterschwellige Lächeln in der Knef-Stimme so perfekt imitieren, dass die Überraschung erstmal verpuffen muss, bis man sich den Songzeilen widmen kann. "In einer Stadt / In einem Haus / Auf einer Treppe / Ruhst Du Dich aus / Alle anderen haben's eilig / Und Du fragst Dich, was sie wohl tun / Denn Du tust nichts." Alles, was davor kam, noch einmal perfekt rekapituliert in wenigen Zeilen und einem wundervoll sphärisch ausklingenden Outro. Da stören auch die inneren Spielverderber nicht, die irgendwann zur Unzeit anklopfen und fragen, ob "Knock knock" denn so gut wie "Amygdala" ist.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Bonfire
- Illumination (feat. Róisín Murphy)
- Pick up
- Drone me up, Flashy (feat. Sophia Kennedy)
Tracklist
- Club der Ewigkeiten
- Bonfire
- Moving in a liquid (feat. Eddie Fummler)
- Colours of autumn (feat. Speech of the group Arrested Development)
- Music on my teeth (feat. José González)
- This is my rock (feat. Sophia Kennedy)
- Illumination (feat. Róisín Murphy)
- Pick up
- Planet Hase (feat. Mano Le Tough)
- Scratch that (feat. Róisín Murphy)
- Muddy funster (feat. Kurt Wagner)
- Baby (How much I LFO you)
- Jesus
- Lord knows
- Seeing aliens
- Drone me up, Flashy (feat. Sophia Kennedy)
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Loketrourak
2018-12-22 18:43:59
Fast richtig, außer das das Album außerordentlich großartig ist. Und jeden Hype wert, selbstverständlich. Objektiv.
Frenchie
2018-12-22 17:03:37
Nichts besonderes. Wie bereits geschrieben, gab es sowas schon in den 90ern mindestens so gut. Alles in allem ganz nett, aber den Hype nicht wert.
Christopher
2018-12-22 13:26:51
Wenn jemand vor 20 Jahren gesagt hätte, dass der DJ von Fischmob mal ein international anerkannter Produzent elektronischer Musik sein würde, hätten alle nur mit dem Kopf geschüttelt.
Insgesamt so ziemlich das perfekte Sommermixtape, das wunderbar im Hintergrund laufen kann ohne banal zu sein.
Das trifft es mMn perfekt.
Pick Up(once again)
2018-12-22 12:34:40
Zu Pick Up hat hier leider schon jemand was geschrieben.Ich will das nur mal konkretisieren:
Fast ein schamloses Rip-Off von Stardusts
Music Sounds Better gepaart mit einer Prise
A Rollerskating Jam Called Saturdays von De La
Soul.Funktioniert trotzdem sehr gut,und Koze
wäre sicher der Letzte,der diese Inspirationen
bestreiten würde.
Amused
2018-05-08 16:09:06
Halte es mittlerweile auch für sein bestes Album. Die Nähe zu den Avalanches beschränkt sich aber auf den nostalgisch-verspielten Sampleeinsatz.
Ansonsten ist das Album vielmehr eine gelungene Zusammenfassung des vielseitigen Kozallaschen Schaffens von den Hip Hop-Wurzeln über Disco und den Minimal/Kompakt-Sound der frühen bis mittleren 00er Jahre bis zu den Hörspiel- und Ambient-artigeren Sachen. Neu hinzugekommen sind Tracks mit deutlicher French House-Schlagseite, die allerdings auch ein bisschen an International Pony erinnern.
Insgesamt so ziemlich das perfekte Sommermixtape, das wunderbar im Hintergrund laufen kann ohne banal zu sein.
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