Christina Vantzou - No. 4
Kranky / CargoVÖ: 06.04.2018
Stillstand und der Tod
Nur wenige ältere Herrschaften dürften sich noch an das Textadventure "Zork" erinnern. In diesem erkundeten Spieler eine mysteriöse Fantasy-Welt, indem sie Befehle wie "open mailbox" in einen sogenannten Parser eingaben. Eine grafische Repräsentation der Spielwelt gab es nicht. Weißer Text auf schwarzem Grund musste zur Inbetriebnahme des Kopfkinos genügen. Was das mit Christina Vantzou zu tun hat? Mehr als man denkt. Denn deren Musik funktioniert ähnlich wie Adventures aus der Zeit, bevor die Pixel laufen lernten. Sie ist karg, teils sogar abweisend. Und doch vermag sie es, Assoziationen zu wecken. Gerade weil Vantzou alles weglässt, was weggelassen werden kann, entfalten ihre Soundscapes eine ungeheure emotionale Wucht. Sofern man dies will.
Der Hang zum Minimalismus ist schon bei den Titeln der Alben der Komponistin mit griechischen Wurzeln erkennbar. Während andere Künstler sich monatelang das Hirn über die perfekte Benennung zermartern, nummeriert Vantzou ihre Werke einfach durch. Dafür gibt sie ihren Tracks ungleich wuchtigere Namen: "Glissando for bodies and machines in space" oder "Some limited and waning memory" mögen zwar aufwändig zu tippen sein, sie beschreiben den Inhalt aber erstaunlich genau. Ersteres eröffnet "No. 4" mit eisigen Klängen. Letzteres zelebriert die Tristesse mit raumgreifenden Klavierakkorden und nach Halt suchenden Stimmfetzen. Die Tristesse ist es auch, die praktisch jedem Track zu eigen ist. In unendlicher Langsamkeit tröpfeln Töne aus den Lautsprechern. Harmonische Verschiebungen passieren niemals plötzlich, aber stets zum richtigen Moment.
Wer etwas mit Grouper anfangen kann, sollte sich dringend "No. 4" anhören. Denn ähnlich wie Liz Harris vermag es Vantzou, mit ihrer Musik ein Gefühl wonniger Apathie auszulösen. Manchmal wird dieses aber jäh durch nackte Angst abgelöst. Wenn "Sound house" nach minutenlangem Wabern plötzlich ins Nichts kippt, gefriert mindestens das Blut in den Adern. Diese Überraschungen sind es auch, die "No. 4" zu mehr als bloßem Hintergrundsäuseln machen. Das Wissen, dass jederzeit etwas absolut Unerwartetes passieren kann, zwingt den Hörer dazu, sich voll und ganz auf die Musik einzulassen. Gewiss ist es möglich, sie auch gekonnt zu ignorieren. Aber das gilt für so ziemlich alles und ist daher eine Nullaussage.
Ambient kann im Idealfall sowieso beides sein: Ein kaum wahrnehmbares Geräusch in der Ferne und ein einnehmendes Erlebnis aus nächster Nähe. Christina Vantzou hat in den Jahren des Suchens nach dem perfekten Sound ein außerordentliches Gespür für diesen Rasierklingenritt entwickelt. Tracks wie "Garden of forking paths" und "Remote polyphony" funktionieren beispielsweise in beiden Hörmodi. Immer lauert jedoch der Abgrund. Bei aller Schönheit, die der Musik innewohnt, scheint die Schwärze stets nur wenige Schritte entfernt zu sein. Vantzou macht diese Leere hörbar. Sie zu füllen, ist Sache des Rezipienten. Notfalls mit weißen Zeichen auf schwarzem Grund. Quit.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Some limited and waning memory
- Sound house
- Garden of forking paths
- Remote polyphony feat. Steve Hauschildt
Tracklist
- Glissando for bodies and machines in space
- Percussion in nonspace
- At dawn
- Doorway
- Some limited and waning memory
- No. 4 string quartet
- Staircases
- Sound house
- Lava
- Garden of forking paths
- Remote polyphony feat. Steve Hauschildt
Referenzen
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