Kraków Loves Adana - Songs after the blue
Better Call Rob / Rough TradeVÖ: 06.04.2018
Alle Farben
Als 1901 sein guter Freund Carlos Casagemas starb, begann Pablo Picassos "Período Azul". Drei Jahre lang sollten seine Bilder ausschließlich von Blau- und Grüntönen gemalt sein, die Darstellungen von Menschen in Einsamkeit und Verzweiflung den psychischen Zustand ihres Erschaffers reflektieren. Auch, wenn ihr oft eine beruhigende Wirkung zugeschrieben wird, war Blau schon immer die Farbe von Melancholie und Depression und deshalb füllt sich der Kopf schon mit einer Flut von Assoziationen zu Kraków Loves Adanas neustem Album, bevor man auch nur einen Ton davon gehört hat. Natürlich steckt ein Titel wie "Songs after the blue" aber noch eine sehr unklare Erwartungshaltung ab, könnte er genauso gut auch Hoffnung und Aufbruch nach einer Phase von Bedrückung und Schwermut suggerieren. Wie so oft in der Welt des Floskel-Feuilletons liegt die Wahrheit dazwischen, das in Freiburg gegründete Duo mit türkischen, polnischen und deutschen Wurzeln schafft es erneut, mit allersimpelsten Mitteln ein vielfältiges Spektrum von Emotionen abzubilden.
Die noch auf "Interview" und "Beauty" prägnanten Folk-Ansätze sind mittlerweile gänzlich verschwunden, Sängerin Deniz Cicek, die wie schon auf dem Vorgänger "Call yourself new" die Eigenregie für Songwriting und Sound übernommen hat, baut auf Drumcomputer, New-Wave-Synths und The-Cure-Gitarren. Die Wahl-Hamburger verweigern sich konsequent jeder Form von Innovation oder musikalischer Komplexität, was die Wirkung von "Songs after the blue" noch beeindruckender macht. Dieses Album schafft das Kunststück, trotz eigentlich unterkühlter Arrangements unglaublich viel Wärme und Nahbarkeit zu erzeugen, Ciceks einzigartige, tiefe Stimme erfüllt den gesamten Raum und lässt jede ihrer Emotionen zur eigenen werden. Mit straighten Melodien und einem komplett schnörkellosen Vortrag – fast alle Songs bewegen sich an den drei Minuten entlang und nach einer knappen halben Stunde ist alles schon wieder vorbei – erschaffen Kraków Loves Adana Musik, wie sie unmittelbarer nicht sein könnte.
Passenderweise ist "Songs after the blue" mit seiner Eingängigkeit und Kürze dann auch ein astreines Pop-Album – welches andere Genre könnte Emotionen auch direkter und unverfälschter zum Ausdruck bringen? Der Refrain vom eröffnenden "Rapture" setzt sich schon beim ersten Hören nicht nur im Ohr, sondern direkt tief im Herzen fest, die Synthie-Akkorde dieses sphärischen Dreampop-Stücks klingen wie schon tausendfach gehört, doch genau das erzeugt, gestützt von der textlichen Liebeserklärung an die Kassette, ein wohliges Gefühl verständnisvoller Nostalgie. "Bloom" und das fantastische "American boy" sind ungleich zwingender, gerade letzteres wirkt mit seinen elektronischen Stakkato-Fanfaren und Ciceks Gesellschaftskritik gar wütend. Die Farbpalette von ihr und Partner Robin Heitmann geht weit über melancholisches Azurblau hinaus, doch achten sie penibel darauf, dass sich nie etwas vermengt, und ziehen ihren minimalistischen Sound wie mit dem Lineal. Auch wenn "Heather" am Ende seiner Hall-Gitarre etwas mehr Raum lässt, bricht diese nie aus dem Song heraus und lenkt nicht davon ab, dass es hier um Tieferes geht als um instrumentales Mackertum.
"Hamburg" etwa thematisiert die Isolation und Entfremdung von der eigenen (Wahl-)heimat, während "The day the internet died" die Empathielosigkeit im digitalen Zeitalter beklagt und das von majestätischen Pianoklängen getragene Finale "Naked world" poetische Realitätsflucht betreibt. Das alles verpacken Kraków Loves Adana in umwerfende Elektropop-Refrains, die subtil genug sind, um nicht aus der schwebenden Atmosphäre herauszureißen, aber gleichzeitig verhindern, dass das Album in eine einzige zähe und dröge Katharsis abdriftet. "Tonight I am an open door / Keep moving right through me", singt Cicek in "Resonating truly", dem wärmsten und wunderschönsten unter ausschließlich warmen und wunderschönen Songs, was sich auch mit einer ihrer Aussagen im Vorfeld der Veröffentlichung deckt: "Kreativität als Selbstzweck ist ein egoistisches Unterfangen […] ich möchte Denkanstöße geben und, wo nötig, ein Gefühl von Unbehagen oder Trost vermitteln." Ziel erfüllt. Ein gleichermaßen konziseres wie emotional nahbareres und tröstenderes Album als "Songs after the blue" muss 2018 erst noch geschrieben werden.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Rapture
- American boy
- Resonating truly
Tracklist
- Rapture
- Bloom
- American boy
- Heather
- Hamburg
- Resonating truly
- The day the internet died
- Naked world
Im Forum kommentieren
Toll
2018-04-10 15:00:58
Das ist ne echt tolle Platte. "Hamburg" gehört für mich auch noch zu den Highlights.
Randwer
2018-03-31 10:46:02
Die erwähnte Wärme und Nahbarkeit ist auch schon beim Hören des Vorgängers "Call Yourself New" zu spüren.
allmelody
2018-03-31 10:16:36
die bisher veröffentlichten Songs klingen schon mal großartig! bin gespannt aufs Album.
Armin
2018-03-29 20:37:47- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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