Yo La Tengo - There's a riot going on

Matador / Beggars / Indigo
VÖ: 16.03.2018
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Quiet riot

Für ihr mittlerweile 15. Album haben sich Yo La Tengo bei den Funk-Legenden Sly And The Family Stone bedient. Doch wer jetzt psychedelischen Soul und jauchzenden Funk auf der neuen Platte der Indie-Institution aus Hoboken, New Jersey ertwartet, liegt natürlich falsch. Nein, vielmehr geht es um den Albumtitel und den Leitgedanken dahinter: Wir leben, klar, in unruhigen Zeiten, die Atomkriegsuhr steht nicht völlig grundlos auf zwei Minuten vor zwölf, weil einige machtgeile Irre wild mit ihren Säbeln rasseln. Yo La Tengo wollen sich dem unruhigen Brodeln widersetzen und wählen dafür mit den in den neuen Stücken so präsenten leisen Tönen genau jene Mittel, die den marktschreierischen Machthabern vollkommen abgehen. Die Zeichen stehen bei Georgia Hubley, Ira Kaplan und James McNew auf Entspannung durch, ähem, Entspannung, ihre neuen Kompositionen fließen harmonisch und größtenteils widerstandslos dahin.

Eingerahmt wird "There's a riot going on" vom fast sechsminütigen Opener "You are here" und dem korrespondierenden Schlussstück "Here you are": Während der Erstgenannte als rein instrumentaler Track eine vage Stimmung der Zartheit vermittelt, baut der finale Song auf atmosphärisch blubbernden und zirpenden Dreampop, der sich kaum aus der Ruhe bringen lässt, auch wenn immer wieder kleine Störgeräusche dazwischenfunken. Diese Klammer der Ausgeglichenheit, der inneren Balance hält die allesamt sehr ruhigen Stücke zusammen. "Shades of blue" präsentiert sich als frühlingshafter Pop-Song, der aus verträumten Augen auf die Welt blickt, während das Piano sanfte Akzente setzt, die Drums sachte vorwärts stolpern.

Oft erinnert das in seiner Verhuschtheit an die entrückteren, geisterhaften Momente der letzten Deerhunter-Alben: Vieles bleibt nur angedeutet, Yo La Tengo füllen mit ihrem Sound keine Räume, vielmehr lässt die Band Leerstellen, setzt nur hier und da Akzente, so wie im kurzen, skizzenhaften "Polynesia #1". Mit der neuen Platte kultivieren die US-Amerikaner rocklosen Post-Rock, atmosphärischen Minimalismus: "Dream dream away" und "Shortwave" kommen praktisch ohne alles aus, animieren zum Träumen, lockern die Daumenschrauben des Alltags. Für böse Zungen wäre es alles allerdings ein Leichtes, all dies als langweilig abzutun und möglicherweise lägen sie damit gar nicht mal so falsch. Denn spannend ist hier freilich überhaupt nichts: Yo La Tengo jammten ursprünglich einfach drauf los und ließen sich dann in diese Richtung treiben.

Folglich soll "There's a riot going on" gar nichts anderes sein als eine Meditationsstunde in wilden Zeiten, eine garantiert koffeinfreie Teestunde, nach der man sich geläutert, vielleicht sogar tiefenentspannt fühlt. "Esportes casual" entführt den Hörer in einen Fahrstuhl, der sicher nicht in stresserfüllten Büroetagen Halt macht. Und das fließende "Forever" trödelt sich durch seine angenehme Geräuschlosigkeit, mit sacht brummendem Bass und leise fiepender Orgel, die im Hintergrund einsam ihre Kreise zieht. "Out of the pool" kommt kurz vor Schluss als Spoken-Word-Interlude daher, der grundierende Beat erinnert an Trip-Hop-Exkursionen. Doch bevor ein Ausbruch droht, ist der Track natürlich schon zu Ende: Yo La Tengo wollen es schließlich ruhig angehen lassen. In diesem Punkt unterscheiden sie sich selbstverständlich fundamental von Sly And The Family Stone.

(Kevin Holtmann)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • She may, she might
  • Polynesia #1

Tracklist

  1. You are here
  2. Shades of blue
  3. She may, she might
  4. For you too
  5. Ashes
  6. Polynesia #1
  7. Dream dream away
  8. Shortwave
  9. Above the sound
  10. Let's do it wrong
  11. What chance have I got
  12. Esportes casual
  13. Forever
  14. Out of the pool
  15. Here you are
Gesamtspielzeit: 63:24 min

Im Forum kommentieren

ZoranTosic

2021-09-15 10:35:12

Seit längerer Zeit mal wieder aufgelegt. Sehr sehr schönes Album. Steht bei mir aufgrund der überragenden Restdiscography leider etwas im Schatten. Trotzdem so gut...

Old Nobody

2020-06-03 01:07:01

Jop, ist auf dem Album Lust, ist leider nicht auf Spotify. Ist etwas weiter weg vom Krautrock als Flammende Herzen

dreckskerl

2020-06-02 23:57:35

Ja, dann sind wir schon 2. Der Mann verdient einen eigenen thread.
Palmengarten? Ist das ein Track?

Old Nobody

2020-06-02 22:55:07

Uhh, da kennt ja jemand Michael Rother^^
Flammende Herzen ist wirklich ganz fantastisch, ich liebe Palmengarten sogar noch mehr

dreckskerl

2020-06-02 22:12:24

Ich empfehle als sehr passsenden Anschlussklang:
Michael Rother "Flammende Herzen" von 1976

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