Chemtrails - Calf of the sacred cow

PNKSLM / H'Art
VÖ: 09.02.2018
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Aluhelme runter

Was haben die musikalisch recht unterschiedlichen Bands The Sound, Live und The Church gemeinsam? Richtig, sie alle sind der Alptraum einer jeden Internet-Suchmaschine und haben kürzlich Zuwachs durch Chemtrails aus London bekommen – auch wenn man hier zugegebenermaßen mit einem simplen Zusatz zumindest ein bisschen Abhilfe schaffen kann, während das Googlen nach "Live music" ähnlich ertragreich bleibt wie die Suche nach einem nicht menschenverachtenden Sendungskonzept im deutschen Privatfernsehen. Und immerhin lässt sich der Begriff dieser meistens von politisch recht fragwürdig eingestellten Menschen vorgetragenen Verschwörungstheorien jetzt endlich auch durch etwas Positives besetzen, denn was Chemtrails auf ihrem Debütalbum veranstalten, ist die helle Freude, wenn auch nicht viel weniger bekloppt als die Idee von gehirnwaschenden Flugzeugabgasen. Das Quintett sammelt Ansätze aus Dream-Pop, Garagen-Grunge, Glam, Noise, Psychedelia und Punk und bastelt daraus ein temporeiches, energiegeladenes Lo-Fi-Pop-Kunststück allergrößter Eingängigkeit.

Genauso wie seine beiden Vorgänger-EPs "Love in toxic wasteland" und "Headless pin up girl" wurde "Calf of the sacred cow" im Wohnzimmer der beiden Frontfrauen Mia Lust und Laura Orlova aufgenommen und das hört man dem Album zu jeder Sekunde an. Der Opener "A killer or a punchline" baut auf Beach-House-artigen Orgel-Drones einen beschwingten, hochmelodischen Psych-Pop-Stampfer auf, dessen titelgebende Entscheidungsfrage man guten Gewissens mit "beides" beantworten kann. In puncto Sound lassen sich Chemtrails am ehesten im Lo-Fi-Indie der späten 00er- und frühen 10er-Jahre einordnen, irgendwo im Spannungsfeld zwischen Wavves, den frühen Best Coast und den noch früheren MGMT, aber ohne Hemmungen, wie in "A beautiful cog in the monolithic death machine" auch mal ein überraschend hartes Riff aus den Boxen zu brettern. Dieser Hochgeschwindigkeits-Singalong erinnert nicht nur mit seinem extravaganten Titel an King Gizzard & The Lizard Wizard und greift außerdem die düster-zynischen Lyrics des Openers auf. Wo die Musik nämlich zumeist poppig und euphorisch klingt, zirkulieren die Texte oft comichaft überzeichnet um Themen wie Tod und Zerstörung, wobei Lusts kontrastierende Reflexionen über ihr Leben als Trans-Frau aber verhindern, dass Chemtrals zu sehr ins Alberne abdriften.

Im weiteren Verlauf gibt sich "Calf of the sacred cow" ungemein vielseitig. "Lizard empire" und das harmonische "Ghosts of my dead cats" fußen auf zuckrigen Synthies, während das unglaublich kraftvolle "Wishbone" mit Surf-Ansätzen und Farsifa-Orgel The Raveonettes anklingen lässt und "Watch evil grow" Gitarren nach vorne peitscht, mit denen sicher auch Titus Andronicus etwas anfangen könnten. Wer es darauf anlegt, wird hier, wie bei so vielen Lo-Fi-Alben, natürlich einige Reizpunkte zum Aufhängen finden: Die Produktion ist dürftig, irgendwie hat man das alles schon mal in sauberer gehört, die Sängerin nervt mit ihrer nasalen Stimme total – und wurde eigentlich schon erwähnt, dass letztendlich alles gleich klingt? Grundsätzliche Gegner dieser Art von Ästhetik finden hier vielleicht keine neue Lieblingsband, aber Chemtrails haben Drive, ein fantastisches Gespür für durchweg tolle Melodien und schaffen es, ihre bekannten Versatzstücke zu einem frischen, dynamischen und eigenständigen Ganzen zusammenzufügen, wobei auch der tolle dreistimmige Gesang – neben Lust und Orlova gibt es noch eine als "Another Laura" kreditierte dritte Dame im Hintergrund – eine zentrale Rolle spielt. Eine große Karriere ist ihnen zu wünschen, allein schon aufgrund der leisen Hoffnung, man würde dann künftig mit dem Bandnamen in erster Linie den Griff zu den Kopfhörern und nicht zur leichtmetallhaltigen Kopfbedeckung assoziieren.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • A killer or a punchline
  • Wishbone
  • Watch evil grow
  • Ghosts of my dead cats

Tracklist

  1. A killer or a punchline
  2. A beautiful cog in the monolithic death machine
  3. Wishbone
  4. Tendrils
  5. Lizard empire
  6. Watch evil grow
  7. Usual freaks
  8. Milked
  9. Dead air
  10. Ghosts of my dead cats
  11. Overgrown
Gesamtspielzeit: 38:54 min

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