Belle & Sebastian - How to solve our human problems

Matador / Beggars / Indigo
VÖ: 16.02.2018
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Die Erwachsenen

"I didn't think after 20 years / I'd be right back in the self-same places." Viel hat sich in den letzten zwei Dekaden getan bei Belle & Sebastian und dennoch scheint sich Sänger Stuart Murdoch dessen bewusst zu sein, dass seine Band in ihrem Herzen noch immer ein- und dieselbe ist. Eine zunächst etwas irritierende Erkenntnis, wenn man sich anschaut, wie einer der verhuschtesten und zartesten Indie-Acts der 90er mittlerweile vor gewaltigen, mit Wasserbällen umher werfenden Festival-Publika auftritt und ihr zurückhaltendes Kammerpop-Instrumentarium um druckvolle Elektronik erweitert hat. Doch auch inmitten des bunten Kirmesbeat-Party-Zirkus von "Girls in peacetime want to dance" schwang sie immer noch mit, diese der Band ganz eigene Melancholie, die sie schon immer zu weit mehr als nur simplen Smiths-Epigonen und zum verträumten, naiv-romantischen Gegenentwurf einer von Spice Girls und Backstreet Boys geprägten musikalischen Ära gemacht hat.

"How to solve our human problems" ist nun allein schon in seiner Konzeption eine explizite Rückschau. Wie schon zwischen ihren Meisterstücken "If you're feeling sinister" und "The boy with the arab strap" haben die Glasgower drei EPs aufgenommen, keine B-Seiten, sondern vollwertiges Album-Material, das sie in diesem Fall mit Erscheinen seines letzten Drittels auch direkt als kompiliertes Gesamtwerk veröffentlichen. Wer deswegen auch eine musikalische Rückbesinnung erwartet hat, wird von der Vorabsingle "We were beautiful" wohl schwer enttäuscht gewesen sein, doch vermittelt der Song unter seinen Drumcomputern und schillernden Synthies ein dringliches Gefühl von einsamer Unbehaglichkeit in der modernen Welt, das eher die elektronischen Momente des Debüts "Tigermilk" in Erinnerung ruft als den Vorgänger. Zugegebenermaßen wird man beim Hören des Albums dafür wohl nicht sein ganzes Fassungsvermögen aufwenden können, weil der Kopf zu diesem Zeitpunkt noch beim atemberaubenden Opener feststeckt. "Sweet Dew Lee" ist nämlich nicht weniger als der beste Belle-&-Sebastian-Song seit der Jahrtausendwende, eine zwischen Jangle-Pop und 70er-Disco platzierte, sechsminütige Prog-Suite, die alle neuen und alten Stärken der Band so sehr vereint wie kein anderes Stück und Murdoch den geerdeten Konterpart zu Stevie Jacksons romantischen Idealisten spielen lässt: "Reconcile yourself to knowing / That glamour fades as time moves on."

Nach dem einlullenden, von Sarah Martin gesungenen Country-Soul von "Fickle season" erwacht dieses tief in der Realität verankerte lyrische Biest erneut: "They'll take profits over the people / They won't make the country great again / Just as long as it's white and wealthy", heißt es in "The girl doesn't get it", einem dynamischen, fröhlichen Popsong, der nach alles anderem als nach wütendem Protest klingt. Gegen die Arschlöcher dieser Welt rebelliert haben Belle & Sebastian schon immer, doch wo es jetzt gegen sehr viel größenwahnsinnigere Machthaber als Kleinstadt-Priester und Schulhof-Rowdys geht, muss natürlich auch die Musik ungleich extrovertierter sein, um überhaupt eine Bühne zu finden. Das ist auch vollkommen in Ordnung, denn die Glasgower können auch immer noch ganz anders wie das Herzstück der zweiten EP "I'll be your pilot" beweist, ein bittersüßes, von Oboen unterstütztes Folk-Kleinod, wie es keine andere Band dieser Welt schreiben kann. Murdoch wendet sich dabei an seinen jungen Sohn Denny, reflektiert die Schwierigkeiten, ein Kind in einer immer verdorbener werdenden Welt großziehen zu müssen. Doch nimmt er die Herausforderung ohne zu zögern an und spricht Denny gleichermaßen wie dem Hörer auf simple, dennoch unvermittelt ehrliche und wunderschöne Weise Mut zu: "I'll be your pilot / I'll keep you safe."

"A plague on other boys" schlägt in dieselbe Kerbe des klassischen Belle-&-Sebastian-Sounds der mittleren und späten 90er, erzählt gewitzt und eloquent eine Geschichte von unerfüllter Studentenliebe, deren Protagonist zehn Jahre brauchen wird, um darüber hinwegzukommen. Das Septett nutzt die zweite EP allerdings nicht nur zur reinen Nostalgieschau, sondern lotet stattdessen seine musikalischen Grenzen an anderen Stellen weiter aus als je zuvor. Das fantastische "The same star" knüpft zunächst an alte "Dear catastrophe waitress"-Zeiten an, um später in einem fulminanten Finale aus Bläsern und Space-Synths gen Himmel zu schießen. "Show me the sun" jagt verzerrte Gitarren durch bassgetriebenen, ansatzlos seinen Rhythmus wechselnden Psychedelic-Soul, während das von Stevie Jackson gesungene "Cornflakes" seinen glamourösen Disco-Pop immer wieder von lärmigen Ausbrüchen und dissonanten Synthie-Wänden untergraben lässt.

Mit ihrer romanartigen Lyrik, den (hoch-)kulturellen Referenzen und Murdochs mehr mit zurückhaltender Reife als mit jugendlichem Esprit vorgetragenem Flüstergesang schienen Belle & Sebastian dem Rest ihrer Generation schon immer mehrere Jahre voraus zu sein. "How to solve our human problems" ist nun Zeitzeugnis davon, wie ihr biologisches Alter das Geistige eingeholt hat, doch von Einrostung oder Genügsamkeit ist hier nichts zu spüren. "Too many tears", das Highlight der dritten und letzten EP, ist ein aufs oberflächliche erste Ohr belanglos scheinender Popsong, der mit seinen elaborierten Bläser- und Streicher-Arrangements und Murdochs und Martins Wechselspiel in Wahrheit aber musikalisch wie emotional ungemein vielschichtig ist. "There is an everlasting song" beginnt als legitimer Nachfolger von "Piazza, New York catcher", doch Akustikgitarre und Stimme alleine gibt's bei Belle & Sebastian 2018 nicht mehr, weswegen der Rest der Band später dann auch mitspielen darf. Die Glasgower machen weiterhin Musik für die immer ein bisschen abseits vom lauten Rest stehenden Indie-Ästheten, sie können noch immer die mitunter schönsten Melodien dieser Erde zwischen Melancholie und kindlicher Freude schreiben, man darf ihre neugewonnenen musikalischen Ambitionen nur nicht als Abschreckung, sondern vielmehr als Ergänzung und Ausdruck einer neuen Art von Selbstverständnis sehen. Wie groß die Turbulenzen auch sein mögen, diese Piloten werden immer ganz genau wissen, wohin sie uns fliegen wollen.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Sweet Dew Lee
  • The girl doesn't get it
  • The same star
  • I'll be your pilot
  • Too many tears

Tracklist

  1. Sweet Dew Lee
  2. We were beautiful
  3. Fickle season
  4. The girl doesn't get it
  5. Everything is now
  6. Show me the sun
  7. The same star
  8. I'll be your pilot
  9. Cornflakes
  10. A plague on other boys
  11. Poor boy
  12. Everything is now (Part two)
  13. Too many tears
  14. There is an everlasting song
  15. Best friend
Gesamtspielzeit: 69:35 min

Im Forum kommentieren

Flo g'schaftelt mit

2018-02-24 12:01:14

Besonders die dritte EP ist mir mittlerweile richtig ans Herz gewachsen. Sie machen schon schönen, unspektakulären Wohlfühlpop!

Felix H

2018-02-16 09:38:40

How to solve our streaming problems?

The MACHINA of God

2018-02-16 09:30:41

Auf Spotify ebenso.

MM13

2018-02-16 09:22:57

die songs sind klasse,finde auf i-tunes allerdings nur die eps und kein komplettes album,oder bin ich blind?

The MACHINA of God

2018-02-16 09:18:51

Ich mag "Indie Cindy". :)

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