
Superchunk - What a time to be alive
Merge / CargoVÖ: 16.02.2018
Die wunderbaren Jahre
Warum haben eigentlich die unsäglichen 80er- und 90er-Jahre-Sendungen immer so gute Einschaltquoten? Weil es die Produzenten dieser nostalgisch aufgeplusterten TV-Show-Unfälle aufs Vortrefflichste verstehen, mit einer Mischung aus Zauberwürfel-Simsalabim und D-Promis ihr in die Jahre gekommenes Publikum mit als Gefühlen verkleideten Erinnerungsfetzen zurück in deren Jugend zu beamen. Hach damals, wisst Ihr noch all die wunderbaren Jahre? Auch Rockbands, die die Adoleszenz ihrer Fan-Peergroup scheinbar schadlos überstanden haben und uns treu Händchen haltend durch diese seelische Grenzerfahrung namens Leben begleiten, funktionieren schlimmstenfalls ähnlich. Nämlich als lautstarke Konserve, deren Haltbarkeitsdatum bis heute nicht abgelaufen, die aber 2018 einfach nur noch geschmacklos ist.
Superchunk sind aus einem anderen Holz geschnitzt. Würden sie nicht so jugendlich jubilierend klingen, könnte man von einem Altern in Würde sprechen. Doch vom Greisentum keine Spur. Auch knapp 30 Jahre nach ihrem Hit "Throwing things" möchte man bei Songs wie "What a time to be alive" selbst wie ein Teenager vor dem ersten Date freudig erregt Dinge durch die Gegend schmeißen. Beschwingt schnatternde und sich überschlagende Gitarren, Schellenkränze zum Zungenschnalzen, ein wie gewohnt knödelnder Mac McCaughan und elf Hits machen Album Nummer elf zu einem vertrauten Wiedersehen mit alten Bekannten. Wieder wird nach Herzenslust geknuddelt, der Punkrock angeschmachtet und mit dem Pop geflirtet. Statt intensiver Blicke gibt’s Gitarrensoli zuhauf, übersteuerte Bässe und Heerscharen von Hymnen für uns Junggebliebene.
Dass Superchunk dabei nicht wie die Ewiggestrigen auftreten, zeigen auch die Texte des neuen Albums: "Es wäre seltsam, in einer Band wie unserer zu spielen und eine Platte zu machen, die unsere Umgebung und die Umstände, unter denen unsere Kinder aufwachsen, außer Acht lassen würde", sagt Bandgründer, Sänger und Gitarrist Mac McCaughan. Und möchte dies explizit als Statement der Band zur aktuellen Situation in den USA verstanden wissen. Aber nicht nur die politische Agenda in den Staaten, auch die Liebe zu ihren Hörern ist Superchunk ein Anliegen. Deswegen gibt es statt polarisierender Wahlversprechen für Stammwähler eben genau das, was diese von ihrer Partei erwarten können. Vom punkigen "Lost my brain" über das stampfende "Bad choices" bis hin zum leicht melancholischen "Break the glass": Superchunk klingen wie Superchunk. Und das bedeutet, dass McCaughan und Mitstreiter immer noch mit Melodien wie mit Konfetti um sich schmeißen.
Superchunk spielen auch 2018 ihren Stiefel jenseits jeglicher Trends runter. Einen Stiefel, der immer noch genau passt, nach wie vor vortrefflich seinen Zweck erfüllt und vor allem noch ordentlich Arsch tritt. Ausschläge nach unten sind auf Albumlänge nicht zu bemerken, dafür gibt es aber ein paar echte Ausreißer nach oben. Wie den titelgebenden Opener, aber auch "All for you" verleitet zu einem sehnsüchtigen Dauergrinsen. Und selbst wenn das Quartett von einer "Cloud of hate" singt, klingt das eher nach gut gelaunten Bad Religion denn nach mit Hass abgefüllten Dead Kennedys. Ein Superchunk-Album ist wie Autofahren. Mal brettern musikalische Nostalgiker mit Bodenblech-Kontakt auf der Schotterpiste "Lost my brain", mal düsen sie mit heruntergekurbelter Seitenscheibe unter der Abendsonne Richtung Festival "I got cut", dann wird wieder fröhlich rumgeknutscht wie bei"What a time to be alive". Und ganz am Ende dürfen sich alle Fans wieder ganz jung und klein fühlen und durch die Heckscheibe vom Rücksitz einen letzten Blick auf Jim Wilbur, Jon Wurster, Laura Ballance und Mac McCaughan werfen, während diese verschmitzt grinsend zum Abschied winken. War mal wieder schön mit Euch.
Highlights & Tracklist
Highlights
- What a time to be alive
- Erasure
- Bad choices
Tracklist
- What a time to be alive
- Lost my brain
- Break the glass
- Bad choices
- Dead photographers
- Erasure
- I got cut
- Reagan youth
- Cloud of hate
- All for you
- Black thread
Im Forum kommentieren
fakeboy
2020-01-31 16:29:19
Auch nach 2 Jahren immer noch ein Knüller. Die Wut steht Superchunk gut. Hymnisch, nach vorne preschend, ungeschliffen, gut abgehangen und auch inhaltlich auf den Punkt: "But to tell the truth, there was more than one Reagan Youth". Weitere Lieblingsplatte einer ewigen Lieblingsband.
SkEPT
2018-03-07 12:39:12
Ähnlich durchschnittlich langweilig wie die neue Buffalo Tom. Die Zeit ist echt vorbei, dafür reicht die Substanz nicht.
eric
2018-03-07 11:58:04
Super Platte!
MeinerDeiner
2018-02-22 18:22:47
Wahnsinnig gut gespielter, edel abgehangener Ami-Altherrenrock im Stile von Wilco oder Calexico. Sie sollten sich in Superchunko umbenennen.
Gordon Fraser
2018-02-22 18:16:24
Macht Spaß.
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