Therion - Beloved antichrist
Nuclear Blast / WarnerVÖ: 02.02.2018
Mehr ist mehr
Genres, die zum Schimpfwort werden. Wir hatten das ja schon mehrfach. Heute im Programm: Symphonic Metal. Genau, das ist die Art von Metal, die viel zu oft mit aufgeblasenem Bombast – gerne auch per gesampeltem Orchester mit eingebautem Papp-Sound – die Unzulänglichkeiten im Songwriting zuzukleistern versucht. Ausnahmen bestätigen natürlich wie so oft die Regel, doch auch das in dieser Hinsicht perfekt in Szene gesetzte Trans-Siberian Orchestra ist gemeinhin mehr Musical als Metal. Die Alternative: Metal-Musiker, die sich an Klassik versuchen und das ganze "Rock meets Classic" oder so nennen. Auch einigermaßen schauderhaft, ebenso wie der Versuch des tatsächlich klassisch ausgebildeten Accept-Gitarristen Wolf Hoffmann, klassische Werte durch seine Flying V zu gniedeln. Über Desaster wie Metallicas "S&M" legen wir lieber direkt den Mantel des Schweigens. Und dann gibt es da in Schweden noch einen Musiker, dem sind diese Vorurteile mal komplett schnuppe. Denn Christofer Johnsson macht mit seiner Band Therion spätestens seit deren fünftem Album "Theli" von 1996 genau dieses: Metal mit großem Orchester, mächtigen Chören und wagnereskem Krawall. Und zwar gleichberechtigt und ohne Samples.
Man könnte also sagen, "Ambition" sei Johnssons Zweitname. Doch ein Blick auf die Eckdaten von "Beloved antichrist" erklärt zunächst den Abstand von schlappen fünf Jahren zum Vorgänger "Les fleurs du mal" und lässt zugleich Zweifel am Geisteszustand des Schweden aufkommen. 46 Songs in mehr als drei Stunden Spielzeit, eine amtlich auskomponierte Oper mit fast 30 Sängern, die in lyrischer Sicht eine Erzählung namens "Kurze Erzählung vom Antichristen" des russischen Philosophen Wladimir Solowjow als lose Grundlage hernimmt. Wer zum Unterweltfürsten soll denn das bitte verarbeiten? Doch gemach: Mitunter scheint es, als könnte man Anhängern der so genannten "ernsten Musik" eine größere Aufmerksamkeitsspanne zumuten, zeichnen sich doch insbesondere Wagner-Opern mit Spielzeiten von mehr als vier Stunden aus. Vom "Ring des Nibelungen" mit schlappen 16 Stunden einmal ganz zu schweigen, sollte dieser Zyklus einmal komplett am Stück aufgeführt werden.
Doch zurück zum Thema, denn eines muss zwangsläufig von vornherein klar sein: Bei 46 Songs, zu denen im Übrigen nur einige wenige Interludien zählen, kann per se kein Hitfeuerwerk gezündet werden. Wie auch? Die Kunst ist es hierbei vielmehr, den Spannungsbogen über das in drei Akten angelegte Opus zu halten und dabei immer wieder Reizpunkte zu setzen, an denen sich der Hörer festhalten kann. Wie in einer klassischen Oper halt auch. Und dieses Vorhaben gelingt Therion weitestgehend überzeugend, bisweilen gar meisterhaft. Nehmen wir doch einmal den Opener, Entschuldigung, die Ouvertüre "Turn from Heaven", die zwingend laut zu hören ist. Noch lauter. Es sind diese drei Minuten sowie das direkt folgende "Where will you go?", die die Essenz des Sounds von Therion vereinen, ungeheuer druckvoll produziert und dabei noch Band und Orchester mit- statt gegeneinander musizieren lassen.
Wie gut das gelingt, zeigt beispielhaft "Signs are here", das zuerst durch Streicher die Ohren schmeichelt, bis sich aus einem eher getragenen Chorpart ein fulminantes Duell der Solistinnen herausarbeitet. Oder das folgende "Never again", bei dem die Chöre zu einer nackenbrechenden Hook den Refrain beisteuern. Nackenbrechend? Klar. Trotz allem orchestralen Bombast sind Therion immer noch eine Metal-Band. Und das zeigen sie beim zunächst eher schwülstigen, im weiteren Verlauf aber krawallig donnernden "Anthem" genau so stark wie später bei "Hail Caesar!". Und da bei Therion Bombast und Wucht nur durch noch mehr Bombast und Wucht zu ersetzen sind, wird die ganze Mischung vor allem im Schlussakt nochmals deutlich rockiger, so als wollten die Skandinavier das Publikum aus der sich zwangsläufig einstellenden Müdigkeit reißen. Denn ein Motörhead-ähnliches Riff zu Orchester-Klängen wie bei "Shoot them down!" muss man auch erst einmal verarbeiten.
Und dennoch ist das Konzept in sich Fluch und Segen zugleich. Zunächst einmal ist es absolut beeindruckend, in der heutigen Zeit, mit heutigen schmalen Studiobudgets ein derartiges Mammutwerk überhaupt einmal zu produzieren. Ein Werk, das laut Johnsson unbedingt und explizit weniger fürs Wohnzimmer denn für die Bühne konzipiert wurde. Und das heutigen Hörgewohnheiten so krass zuwiderläuft, weil es eben als Soundtrack beispielsweise zum Hausputz völlig ungeeignet ist. Doch wenn vor allem im zweiten Akt die Kondition und Aufnahmefähigkeit nachlässt, droht diese Ambition ins Negative zu kippen. Glücklicherweise gelingt es Therion, gerade dort mit eingestreuten Riff-Eruptionen die aufkommende Lethargie im Keim zu ersticken. Trotzdem: "Beloved antichrist" ist eine spannende, wenn auch nicht immer im höchsten Maße beeindruckende Platte, die in jeder Note Herzblut verströmt. Was auch bitter nötig sein dürfte, denn eines ist vermutlich auch Christofer Johnsson klar: Aus kommerzieller Sicht ist diese Platte eine Katastrophe. Aus künstlerischer Sicht hingegen gebührt dem Schweden höchster Respekt.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Turm from Heaven
- Signs are here
- Hail Caesar!
- Shoot them down!
- Forgive me
- Theme of antichrist
Tracklist
- CD 1
- Turn for Heaven
- Where will you go?
- Through dust, through rain
- Signs are here
- Never again
- Bring her home
- The solid black beyond
- The crowning of splendour
- Morning has broken
- Garden of peace
- Our destiny
- Anthem
- The palace ball
- Jewels from afar
- Hail Caesar!
- What is wrong?
- Nothing but my name
- CD 2
- The arrival of Apollonius
- Pledging loyalty
- Night reborn
- Dagger of God
- Temple of New Jerusalem
- The lions roar
- Bringing the gospel
- Laudate dominum
- Remaining silent
- Behold antichrist
- Cursed by the fallen
- Resurrection
- To where I weep
- Astral Sophia
- Thy will be done!
- CD 3
- Shoot them down!
- Beneath the starry skies
- Forgive me
- The wasteland of my heart
- Burning the palace
- Prelude to war
- Day of wrath
- Rise to war
- Time has come / Final battle
- My voyage carries on
- Striking darkness
- Seeds of time
- To shine forever
- Theme of antichrist
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häh
2018-03-06 16:49:21
ja, kann man auch mal drin lassen, den tippfehler. warum auch nicht ;)
Stereogum
2018-03-05 12:01:42
https://www.stereogum.com/1985071/the-black-market-the-month-in-metal-february-2018/franchises/the-black-market/
Markus
2018-02-05 21:01:58
Fipptehler, bedauerlicherweise. Aber "Turm from Heaven" hat was :-)
häh
2018-02-04 20:53:38
Highlights: Turm from Heaven
Tracklist: Turn for Heaven
?
Autotomate
2018-02-02 10:57:54
Ich habe die Band immer eher aus dem Augenwinkel beobachtet, sie aber vor allem für ihre unfassbar scheußlichen Artworks bewundert (man schaue sich nur das Cover der "Theli" an, da weiß man doch gar nicht, wo man das verstecken soll). Und auch diesmal wieder so ein unglaubliches Ramschbild aus dem 1-Euro-Photoshop! Ich meine: Wie kann man einerseits soviel Zeit und Mühe aufbringen, 3 Stunden Musik zu komponieren und aufwendig einzuspielen, diese dann aber andererseits in ein 5-Minuten-Design aus der Tonne verpacken?
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