
And The Golden Choir - Breaking with habits
Caroline / UniversalVÖ: 02.02.2018
Der Alchimist
"Ein Album wie ein guter Wein." Falls ein Leser den Gedanken hegt, sich als Rezensent bei Plattentests.de zu bewerben: Nur zu. Vom Auftaktsatz oder ähnlich halbgaren Nahrungsmittel-Metaphern aus dem Giftschrank der Redaktion raten wir im Probetext jedoch tunlichst ab – außer es gibt einen triftigen Grund dafür. Ob es einer ist, dass ein rheinland-pfälzisches Weingut 2015 zusammen mit Tobias Siebert alias And The Golden Choir den Riesling "Golden Choir Alte Reben" kreierte? Schließlich hatte das Debüt "Another half life" mit schwermütigem, mitunter sakralem Drama-Pop zuvor ausgezeichnet gemundet. Und mal ehrlich: Immer nur Schierling saufen, während der düstere Post-Punk von Sieberts Klez.E-Comeback "Desintegration" läuft, ist auch nicht das Wahre. Endlich mal ein machbarer, wenn auch arg verspäteter Vorsatz fürs neue Jahr.
Und hieß es 2001 auf der ersten EP von Virginia Jetzt! "Tobias Siebert will nie mehr allein sein", erfüllte sich dieser Wunsch zuletzt auch bei Konzerten von And The Golden Choir. Diese bestritt Siebert nämlich nicht mehr lediglich mit einem Playback-Plattenspieler samt selbstgepresstem Vinyl auf der Bühne, sondern stattdessen im Bandformat. Nicht, dass dieser Umstand viel an den Produktionsmodalitäten geändert hätte: Der Berliner kann entgegen des Albumtitels eben nicht recht aus der Haut seines Soloprojekts und verschanzte sich für den Zweitling erneut zwischen Harmonium, Hackbrett und Marimba in seinem Kreuzberger Studio, wo außerdem noch elektronische Gerätschaften und afrikanische Schlaginstrumente herumstanden. Man sieht: Auch auf "Breaking with habits" ist von Anfang an wieder jede Menge los.
So gesehen führen der bereits Ende 2016 veröffentlichte Vorabtrack "Joker" und der Opener "The jewelry" mit Piano-Elegie und einsamem Gebläse beziehungsweise Percussion-Rüttelei und Waldzither-Reigen genauso auf die falsche Fährte wie das barmende Scott-Walker-Raunen. Schon in "My lies" konterkarieren unterschwellige Synthetik und schwelende Orgelfläche selbstvergessene Klaviertupfer, bevor Siebert lauthals "I lie to make you feel better" beteuert. Was ihm mit diesem so brokatschweren wie leichtfüßigen Popsong ähnlich gut gelingt wie in "Clocks", wo staubtrockenes Gerumpel in einen umarmenden, mit rhythmischen Kleinteiligkeiten vollgestopften Refrain mündet. Kleiner "Reminder" dabei an Moderat: Dank Geklöppel und Kopfstimme hätten Sascha Ring und Kollegen dieses Stück gerade eingangs kaum entrückter hinbekommen.
Nur einige Aspekte einer planvollen Alchimie, die vor allem in der ersten Hälfte einem richtiggehenden Fluss jedoch entgegensteht: Das komplexe Beatgerüst des angerauten "The queen of snow" etwa kommt einfach nicht zur Ruhe, die fragmentierten Handclaps von "Air fire water" lassen das Herz des Hörers gar mehrmals beinahe aussetzen. Erst der Indie-Rock-Shuffle "How to conquer a land" und der Midtempo-Schmatzer "The rain" kommen wieder bei der orchestralen Hymnik von "Choose to lose" an, das auf "Another half life" ein crooniges Techtelmechtel zwischen Patrick Wolf und Amy Winehouse suggerierte. Lockere Momente, von denen ein paar mehr einem Album gutgetan hätten, das sich zuweilen zwischen Verkopftheit und künstlerischem Anspruch zu verheddern droht. Immerhin: Zu einem guten Riesling ist das locker zu verschmerzen.
Highlights & Tracklist
Highlights
- My lies
- Clocks
- How to conquer a land
Tracklist
- The jewelry
- My lies
- Clocks
- The queen of snow
- Air fire water
- Joker
- How to conquer a land
- The rain
- The distressed jeans
- The garden
- Into the ocean
Im Forum kommentieren
n00k
2021-01-26 16:02:48
Habe es auch gerade mal wieder gehört, für mich irgendwo zwischen Radiohead und James Blake und ziemlich gut (und unterschätzt).
VelvetCell
2021-01-25 22:16:46
Ich beschalle mich hier einfach so lange selbst, bis ich wenigstens eine weitere Person überzeugt habe.
And The Golden Choir – The Rain
VelvetCell
2021-01-19 23:20:03
Verrückt, dass das Album so wenige Anhänger hat. Für mich immer noch ein nahezu perfektes Popalbum.
9/10
VelvetCell
2018-12-19 19:37:43
Auch am Ende des Jahres ist die Begeisterung noch da: Breaking with Habits ist für mich das Album des Jahres! Schade, dass es nicht mehr Aufmerksamkeit bekommen hat.
Das Konzert in Bremen inklusive Band war im Übrigen auch ein Highlight.
Chorkind
2018-03-21 10:13:29
In der Tat fantastisch! So viele wunderbare Perlen: The Jewelery, The Rain, Queen of Snow, Into the Ocean ... und überhaupt. Ein Album ohne Ausfälle, das auch international Erfolg haben könnte, sollte, müsste.
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