Turin Brakes - Invisible storm

Cooking Vinyl / Sony
VÖ: 26.01.2018
Unsere Bewertung: 3/10
3/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Alte Liebe, verrostet

Bevor jemand, der Turin Brakes allen Ernstes noch genauso schätzt wie früher, am Ende dieser Rezension motzt, sage ich es lieber gleich selbst: Warum zur Hölle meldet sich jemand für die Besprechung des neuen Albums einer Band, mit der man eigentlich gar nichts mehr zu tun hat? Eine vollkommen berechtigte Frage, die auch ich mir – und dem Kollegen Heinecker, kopfschüttelnd ob meiner Entscheidung – gestellt habe. Früher mochte ich Turin Brakes sehr gern. Mein Einstiegsalbum war "JackInABox", schon das fand nicht mehr jeder gut, ich liebte es von der ersten Sekunde an, als ich es im Musikgeschäft auf der Frankfurter Zeil erstmals hörte. Ich kaufte es sofort, die verkratzte Hülle steht sogar noch immer im Regal. Es folgten die Vorgänger, "The optimist" vor "Ether song", der Chronologie wegen. Und Letzteres ist bis heute mein Favorit, schon allein wegen des Titeltracks, der schändlicherweise ganz versteckt am Ende des Finalstücks "Rain city" zu hören war – der war auch der Grund, warum ich mir irgendwann die recht unnötige Compilation "Bottled at Source – The best of the Source years" vom Grabbeltisch kaufte, auf dem er als ganz regulärer Song auftaucht. Warum ich das erzähle? Weil sogar dieser Rückblick auf meine eigene musikalische Historie spannender ist als "Invisible storm", das achte Album der Londoner.

Moment, das achte? Ja, die Offenbarung und Beichte geht weiter. Dass Turin Brakes in den letzten fünf Jahren nicht nur ein, sogar gleich zwei neue Werke auf den Markt gebracht haben, hatte ich nicht mal auf dem Schirm. Und als der Chef in seiner wöchentlichen Rundmail fragte, wer denn dieses neue Album haben wollte – schon zum wiederholten Mal, nachdem sich zunächst niemand meldete –, dachte ich: Warum denn nicht? Früher waren die ja echt voll in Ordnung. Es war also eindeutig mein Fehler, und ich gebe ihn zu. Das alles macht "Invisible storm" leider nicht besser. Elf blutleere, altbackene Popnummern, austauschbar wie Legosteine, so egal wie der berüchtigte Sack Reis in China, so spannend wie ein Erstleser-Buch. Dass die Band zudem versucht, mit viel Pomp und möglichst großen, dramatischen Gesten künstliche Plastik-Gefühle wie am Fließband zu produzieren, macht die Angelegenheit nicht spaßiger.

Vorbei die Tage, als "Pain killer (Summer rain)" selbst einen grauen Wolkenbruch verschönerte oder als "Underdog (Save me)" das geradezu perfekte Stück für einen tollen Abend in angenehmer Gesellschaft war. Stattdessen gibt es so etwas wie das anfänglich sogar noch ganz annehmbare "Tomorrow", das spätestens dank des völlig inflationären Gebrauchs von quiekenden Freudelauten in Form von "Uuuuh uuuuh" noch den allerletzten Nerv raubt. Oder der fast ebenso anstrengende Sommer-des-Grauens-Pop von "Always", der mit solch denkwürdigen Zeilen wie "So watch the jet trails and satellites / Happy birthday, enjoy your flight / Take a walk in the night / Though you are terrified / It won't always be this way / Doo doo doo doo doo" ums Eck schielt.

Da wirkt es schon amüsant, wie der Pressetext zum Album mit der beiläufigen Erwähnung krampft, dass das Album ja in den legendären Rockfield Studios aufgenommen wurde, Zitat, "(wo Queen 'Bohemian rhapsody' aufnahmen)". Freilich kann man versuchen, "Invisible storm" in ein solches Licht zu rücken. Heller wird's trotzdem nicht: Der Fetenhits-Groove von "Life forms", in dem die bereits zur Genüge vorgestellten "Doo doo"-Sounds ein weiteres Wiedersehen in der Hölle bescheren, kommt über belanglosen Einheitsbrei nicht hinaus. Währenddessen versucht "Everything all at once" einen auf breitbeinigen Romancier in Lederjacke zu machen, der zwar zumindest so etwas wie Verwegenheit simulieren, aber trotzdem die Liebe seines Lebens anhimmeln kann, obwohl die Gute – warum nur? – längst über alle Berge ist. Erst zum Schluss, wenn der Krieg eigentlich längst verloren ist, gibt es mit "Smoke & mirrors" und "Don't know much" zwei halbwegs passable Stücke, mit denen die Erinnerung an früher, bevor alles zerstört war, nicht mehr ganz so sehr schmerzt. Dennoch: Durch Ruinen, Rost und Ramsch kommt die Erkenntnis überdeutlich – früher war sicherlich nicht alles besser, Turin Brakes aber um Längen.

(Jennifer Depner)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Smoke & mirrors
  • Don't know much

Tracklist

  1. Would you be mine
  2. Wait
  3. Always
  4. Lost in the woods
  5. Deep sea diver
  6. Life forms
  7. Invisible storm
  8. Everything all at once
  9. Tomorrow
  10. Smoke & mirrors
  11. Don't know much
Gesamtspielzeit: 39:13 min

Im Forum kommentieren

Crossfield

2018-01-29 22:25:37

Habe am Wochenende die neue Platte durchgehört und im Zuge ihrer Veröffentlichung auch alle früheren Alben einem Re-Listening unterzogen.

Mein Fazit:

Turin Brakes haben bislang drei wirklich gute Alben ("The Optimist LP", "Ether Song" und "Lost Prophet") veröffentlicht; vier weitere Alben waren ganz passabel ("JackInABox", "Dark on Fire", "Outbursts" und "We Were Here") - das aktuelle Album ist aber leider - da schließe ich mich als jemand, der die Band wirklich mag, der plattentest.de-Redaktion an - missraten. Wenngleich ich die Bewertung 3/10 etwas zu krass finde (wenn man bedenkt, dass hier ein Album von Helene Fischer immerhin noch eine 2/10 bekommen hat - was die abliefert, hat mit Musik nichts mehr zu tun, das ist ein Gewaltverbrechen...).

Mein Turin Brakes-Albumranking:

1. Ether Song (2003): 8.2/10.0
2. Lost Property (2016): 7.7/10.0
3. The Optimist LP (2001): 7.4/10.0
4. We Were Here (2013): 6.8/10.0
5. JackInABox (2005): 6.7/10.0
6. Dark on Fire (2007): 6.1/10.0
7. Outbursts (2010): 6.0/10.0
8. Invisible Storm (2018): 5.3/10.0

Auf Invisible Storm findet sich m.E. nur ein wirklich guter Song ("Smoke and Mirrors") - der Rest ist mittelprächtig bis schlecht. Schade - auch wenn die Setlist sicher nicht nur aus Songs vom neuen Album bestehen wird, überlege ich grad doch, ob ich mir das Berlin-Konzert im April antun soll oder nicht...

musie

2018-01-26 08:31:53

aber vielleicht sind sie mit neuem Album jetzt wieder fokussierter.

musie

2018-01-26 08:31:16

@Moni: Es war zu viel individuelle Spielfreude. Selber hatten sie einen grossen Spass, aber die Lieder sind halt leider nicht besser, wenn darin jeder sein Ding durchzieht...

Armin

2018-01-25 18:29:14- Newsbeitrag

Liebe Freunde, liebe Medienpartner,

kurz vor Veröffentlichung ihres achten Albums, kommen Turin Brakes mit ihrem neuen Video "Don't Know Much" um die Ecke und bringen damit, wie Sänger Olly Knights findet, die Anekdote des Albums. Den letzten Moment Gänsehaut.

Hier gibt es den Clip zu sehen.


Moni

2018-01-25 15:38:24

erzähl mal wieso, Musie.. ist der Funken ihrer Spielfreude nicht übergesprungen? hab evtl. vor sie mir im April im schönen Papiersaal anzuschauen. Würd mir allerdings schon auch alte Songs wünschen.

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