
Amenra - Mass VI
Neurot / CargoVÖ: 20.10.2017
Tierkörperverwertung
Der verwesende Kadaver eines Hasen, der bei Polańskis "Ekel" von 1965 in der Küche von Carole vor sich hinfault, ist nicht nur Sinnbild für Vergänglichkeit und Sinnlosigkeit des Seins, sondern hat auch etwas ungreifbar Vulgäres an sich. Die gleichen Assoziationen wecken die Tierleichen auf dem Artwork von Amenras "Mass VI": Diese dürften nicht nur bei Veganern angewiderte Reaktionen hervorrufen, die sich beim ersten Durchlauf manifestieren. Doch man würde den Belgiern unrecht tun, ihren Sound allein darauf zu reduzieren – schließlich skizziert Frontmann Colin van Eeckhout ein breites Spektrum an dunklen Klangfarben, die in schwärzesten Schattierungen schillern.
Post, Doom, Sludge – alles egal. Hier herrscht der Nihilismus, sowohl im infernalischen Gekreische als auch im zerbrechlichen Schluchzen van Eeckhouts, der auf "Mass VI" über sich hinauswächst. Die Kontraste werden bis zum Zerreißen auseinandergezerrt, während über brachialen Doom-Riffs die Zeit stehenbleibt. Bereits im Opener "Children of the eye" wird dies dem Hörer schmerzlich bewusst, wenn nach dem repetitiven Intro eine vernichtende Gerölllawine über ihn hereinbricht.
Amenra haben sich für "Mass VI" zwar fünf Jahre Zeit gelassen, doch es hat sich gelohnt – vor allem, was die cleanen Gesangsparts anbelangt, die teils mit gewohnt morbidem Gekeife gekoppelt werden, zum ersten Mal aber auch direkt über malmenden Sludge-Riffs platziert sind. Damit heben sie sich von früheren Songs wie "Am Kreuz" oder "Razoreater" auf "Mass III" beziehungsweise "Mass IIII" ab. Dass Amenra mittlerweile zur triefenden Speerspitze des gegenwärtigen Post-Metal gehören, müssen die Neurosis-Jünger aus Gent schon lange nicht mehr unter Beweis stellen: Zusammen mit so durchschlagskräftigen flämischen Gruppen wie Oathbreaker, Syndrome oder Wiegedood zählen sie zum höchst produktiven Wirkungskreis des Kollektivs "Church Of Ra". Der internationale Einfluss von Post-Metal-Bands wie Cult Of Luna ist dabei aber nicht von der Hand zu weisen.
Was bleibt, ist die nicht enden-wollende Monotonie. Leid und Verzweiflung sind allgegenwärtig, genauso wie der bereits genannte Ekel vor aller Existenz, der an der Decke kondensiert und in zähen Fäden heruntertropft. Van Eeckhout gibt Einblicke in die verwinkeltsten Ecken und Abgründe seiner Seele, wobei sich der Hörer unsicher ist, wieviel davon überhaupt noch übrig sein mag. Seine Stimme überschlägt sich immer wieder, beispielsweise zu Beginn des epischen "Plus près de toi", dann fängt sie sich wieder, um erneut zu kollabieren. Fast genauso schauderhaft sind die auf Flämisch dahingeschluchzten Spoken-Word-Passagen, die kleine Verschnaufpausen suggerieren, wobei das Atmen bei dieser Intimität gar nicht so leicht fällt. Dann senkt sich das unaufhaltsame Fallbeil erneut, beispielsweise bei "A solitary reign". Die Passage um die Zeile "I see distance in your eyes" türmt sich immer weiter auf, während die Füße langsam vom Boden abheben. Und schließlich lässt der Hörer bei "Diaken" allen Weltschmerz unter sich und schwebt dem Leid davon, bis ein abruptes Ende ihn wieder unsanft auf den tristen Erdboden befördert. Dort wartet bereits der tote Hase auf dem Küchentisch auf seine letzte Bestimmung.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Children of the eye
- Plus près de toi
- A solitary reign
Tracklist
- Children of the eye
- Edelkroone
- Plus près de toi
- Spijt
- A solitary reign
- Diaken
Im Forum kommentieren
Mayakhedive
2020-05-22 18:03:37
Bei Neurot Recordings auf bandcamp übrigens gerade als nyp.
The MACHINA of God
2020-05-17 19:56:58
"Karpatia" von Omega Massif könnte mein Lieblingsalbum in der Richtung sein.
Mayakhedive
2020-05-14 07:42:50
Omega Massif haben ja offenbar zumindest keinen Vokalisten, das könnte für sie sprechen. Mal sehen, wann ich mal zum Reinhören komme.
Ansonsten, weil es gerade läuft, könnte ich noch "Howl and Filth" von Generation of Vipers empfehlen. Da würde ich den "Gesang" ziemlich sicher auch doof finden, aber der ist so weit nach hinten gemischt, dass er nicht unangenehm auffällt.
Given To The Rising
2020-05-13 09:09:26
Hier mal ein paar Tipps:
Nebelwand - https://www.youtube.com/watch?v=Lo_TzycLFDo
Limes - https://www.youtube.com/watch?v=73W8isKTXVc
Love Is Bravery - https://www.youtube.com/watch?v=3pwlLTfMmes
Mayakhedive
2020-05-13 09:04:36
Nope. Bei Omega Massif hatte ich vor längerer Zeit mal reingehört, aber das hat damals wohl keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Cranial sagt mir gar nix und Old Man Gloom hab ich seltsamerweise trotz der Personalüberschneidungen mit persönlichen Favorites bisher irgendwie ignoriert.
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