Jennifer Rostock - Worst of Jennifer Rostock

Four / Sony
VÖ: 29.09.2017
Unsere Bewertung: 3/10
3/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Tschau mit V

Die Geister streiten sich darüber, was vernünftiges Ausmisten beziehungsweise Aufräumen bedeutet. Reicht es schon den Dreck der Tage unters Bett zu wuchten oder muss das fragwürdige Hawaii-Hemd tatsächlich in die Altkleidertonne wandern? Jennifer Rostock haben sich dafür entschieden, die Überreste vergangener Produktionen zusammenzuschmeißen. Sie versuchen dabei erst gar nicht von irgendwelchen Perlen zu schwadronieren. Das "Worst of Jennifer Rostock" besteht aus Archivmaterial verschiedener Phasen der Bandgeschichte. Stücke, die an Studio-Alben vorbeigeschrammt sind, verwertet die Band nun zu einem fetigen Mischmasch aus Pathos, Pullermann und Politik. Solche Überbleibsel der Vergangenheit funktionieren vielleicht bei Deutschlands Premium-Basar von "Bares für Rares" außergewöhnlich gut. Bei den hier hervorgekehrten Aufnahmen wird es eher ungewöhnlich egal, welche Restbestände nun an die Oberfläche dringen. Was der Hardcore-Fan angeboten bekommt, ist Jennifer Rostock in Rein- und Reimform. Das Gute daran: Die Songsammlung klingt wie ein herkömmliches Jennifer-Rostock-Album. Das Schlechte daran: Die Songsammlung klingt wie ein herkömmliches Jennifer-Rostock-Album. Vielleicht sorgt die angekündigte Bandpause für eine Auffrischung der doch sehr abgenutzten Pop-Rock-Phantasien.

Die Frau in der Großstadt ist wie so oft omnipräsentes Thema. Mit vielerlei zuckrigen Geräuschen stutzt Jennifer Weist in "Alles cool" nervige Ex-Bekanntschaften zurecht, die es im Trennungspalaber zu nett mit einem meinen. Mit Ironie und Wortspielen, die zwischen Werbungsreferenzen wie "Wenn Du durstig bist, wirst Du zu Diva" und dem generellen Hihihi-Spaß von "Flaschendrehen" changieren, wühlt sich die Band durch ihre Altlasten. Sie rühren Kummer, Koma und Kirmes zu einem Rausschmeißer für jene zusammen, die es leicht verdaulich mögen. Balladen wie "Polarmeer", "Weltbilder" oder "Schlaflos Pt.3" erzählen raumgreifend von persönlichen Krisen, die jedoch mit einem gezielten Schlag ausgelöscht werden können. Der Gesicht-Faust-Zusammenhang scheint tatsächlich nicht ausgestorben und in einem Anflug von einminütiger Wut taugt der uralte Spruch anscheinend noch für ein bisschen Extase. Das krawallige Hauruck treibt infolgedessen Blüten. "Schockverliebt" gönnt sich tatsächlich schon wieder den "Kopf oder Zahl"-Groove – zwar dezent, aber gut hörbar. Weniger zurückhaltend geraten die Hinweise auf die Freiheit der weiblichen Brust. Es ist auch wirklich affig Nippel zu zensieren, solange krudester Dreck in den Netzwerken kursiert. In Pussy-Riot-Manier wirft Jennifer Weist also ihren Körper in den Ring. Ihre Titten seien schließlich teuer genug gewesen. Die Antwort auf diese Form des Protest gibt die frontal kämpfende Frau in "Kleider machen Leute 2017" selbst: "Kann man liken, kann man lassen." Es ist definitiv jedem selbst überlassen, wie er die weit streuenden Geschosse aus der Östrogenkanone bewertet.

Der Mut, seinen Stiefel runterzuspielen und trotzdem zumindest Akzente setzen zu wollen, die auch mal robuster wirken als eine Beziehungs/Leben/Liebes-Metapher, ist respektabel. Zum Ende dreht sich das Album nämlich mehr und mehr ins Ruhige und Politische, nur um zusammen mit Grossstadtgeflüster in "Keine Macht den Profis" alle nochmal zu umarmen, denen das Nachdenken plötzlich zu anstrengend ist. Der große Kehraus gönnt sich einen dicken Duftbaum an der Abfalltüte. Die Bildzeitung und die AfD sind die Ziele der vorangegangenen Verbalattacken. Auch die unsägliche Posse mit Berlin-Prolet Bass Sultan Hengzt um weibliche Dominanz belebt Jennifer Weist mit einer Jennifer-Weist-Zeile wieder: "Keine Punchline, nur sexistisches Geballer / Was'n eierloser Disstrack, Bass Sultan Wallach!" Sie hat das letzte Wort und mag sich laut und dominant, weil sie so ein gesellschaftliches Ungleichgewicht wenigstens auf die Agenda setzen kann. An der Hoffnung auf Gleichheit bastelt die Band mit den einfachsten Mitteln. Das bedeutet viel Körperseinsatz und Veni, Vedi, Vulva. Was wäre, wenn "Weltbilder" sich zu sehr einer möglichen Wahrheit nährt und "in Wirklichkeit die Realität ganz anders geht?" – keine Ahnung, aber alles Gute und reingehauen!

(Michael Rubach)

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Highlights & Tracklist

Highlights

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Tracklist

  1. Alles cool
  2. Flaschendrehen
  3. Schockverliebt
  4. Dschungel
  5. Polarmeer
  6. Wenn ich Dein Gesicht seh, denk ich an meine Faust
  7. Weltbilder
  8. Haarspray
  9. Schlaflos Pt. 3
  10. Die guten alten Zeiten
  11. Liebe Bild
  12. Wähl die AfD
  13. Neider machen Leute (Version 2017)
  14. Keine Macht den Profis (feat. Grossstadtgeflüster)
Gesamtspielzeit: 42:09 min

Im Forum kommentieren

Ich bin geistig behindert

2017-12-21 12:29:44

Ich bin geistig behindert

Armin

2017-12-20 20:47:22- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?


Ball

2017-09-24 10:22:12

Wenn die Musik mancher Musikanten doch so ehrlich wäre wie der Titel dieses Albums.

B1LL

2017-09-23 23:01:40

Wenn die Musik mancher Musikanten doch auch so ins Schwarze treffen würde wie Pressetexte.

Armin

2017-09-22 23:52:15- Newsbeitrag

Liebe Freunde, liebe PartnerInnen,

in einer Woche dann, mit "Worst Of" ist es offiziell. 10 Jahre Jennifer Rostock. Die Band feiert Jubiläum.

Natürlich mit Haltung. Aus gegebenem Anlass gibt's deswegen keine der branchenüblichen Zusammenstellungen, die Fans das Geld für Musik aus der Tasche ziehen, die sie ohnehin schon besitzen.

"Worst Of" ist ein brandneues Album. Mit Songs, die im Laufe des letzten Jahrzehnts liegengeblieben waren und trotzdem so jung klingen, als ob sie vorgestern erst geboren worden wären.

Und nach "Alles Cool":



gibt es mit "Haarspray" einen weiteren neuen Song:
https://jenniferrostock.lnk.to/Haarspray



Der Plan war simpel: Alles, was im Laufe des Bandbestehens an ungenutzten Ideen entstanden war, wurde zusammengekratzt und nach Gefallen durchforstet. Mit den alten Ideen, die nie gut ausgegoren genug gewesen waren, um Platz auf einem der bisherigen fünf Studioalben gefunden zu haben, ging die Band ins Studio. Eine Woche lang. Die Zeit wurde bewusst knapp bemessen. Das Worst Of Jennifer Rostock hätte eine große Produktion schließlich nie und nimmer gerechtfertigt. Aber dann, nach besagter Woche, stieß das Resultat einstimmig auf überraschende Reaktion: Huch, das ist ganz schön geil geworden! Aus der Worst Of-Idee entstand ein neues Album, mit dem Jennifer Rostock ziemlich glücklich sind.

Wie gut, dass sich die Band selten bis nie an Konventionen orientierte! Das, was über die Jahre hier und da liegen geblieben war, ist nicht das Beste der schlechtesten Ideen, sondern das Beste der nicht fertig gereiften Songs. Ein Worst Of der besten Sorte, sozusagen.

Mit schönem Gruß an alle Perfektionisten, die nichts auf die leichte Schulter nehmen. Oder mit anderen Worten: Groß klingt im Endeffekt nicht zwangsläufig, was großspurig erdacht wurde. Die Leichtigkeit mit der das Album entstand, manifestierte sich im Studio kontinuierlich in einem Running Gag: Jede Unsicherheit wurde mit der Gewissheit vom Tisch gejagt, dass ein Worst Of entstand. Es durfte entstehen, was entstehen wollte. Am Ende stellte die Band fest, dass sie ziemlich viele ziemlich gute Entscheidungen getroffen hatte, weil nicht alles totgedacht worden war. Ohne die Bürde, ein amtliches Album einspielen zu müssen, hatten Jennifer Rostock ein ganz schön amtliches Werk am Start. Aufgenommen im Akkord. Schlagzeuger Chris grundierte jeden Mittag zwei Stücke, die Gitarrist Alex Voigt und Bassist Christoph Deckert jeweils am Nachmittag ausformten, während Jennifer Weist ihre Parts abends einsang, bevor Joe Walter die finalen Keyboard- und Electronic-Feinheiten addierte.

Das ursprüngliche Vorhaben, nur ein paar Singles oder EPs einzuspielen, wurde im Handumdrehen über Bord geworfen, als die Band ihrem Label sämtliche zehn fertig produzierten Songs erstmals vorspielte. Und wieder siegte die Klarsicht der Intuition. Nur ein Jahr nach dem letzten Album "Genau in diesem Ton", das vollkommen berechtigt auf #2 der Bestenliste debütierte, mit dem Worst Of aufzuschlagen, ist, sagen wir mal, ungewöhnlich. Und absolut folgerichtig für eine Band, deren erarbeitete Autonomie das Ergebnis von sattsam geflossenem Herzblut ist.

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