Roh - Rohmantisch

BMG
VÖ: 21.02.2000
Unsere Bewertung: 4/10
4/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
6/10

Roh und doch geschliffen

"Ausgerechnet mir muß das passieren" - den älteren unter uns sind diese Worte noch bestens ein Begriff. Und selbst mir, der ich mich eher zu den jüngeren zähle, steckt dieser Beginn des sympathisch-banalen Clowns & Helden-Klassikers "Ich liebe dich" aus dem Jahre 1986 noch in den Gehörgängen. Und nun kommt also eine Bande Rotzlöffel namens ROH daher und meint, sich an diesem Liedchen vergreifen zu müssen. Die Frage drängt sich geradezu auf: Dürfen die das? Sie dürfen. Denn mit Carsten Pape, der sich für die Gitarre und den Background bei ROH verantwortlich zeigt, hat ein ehemaliges Mitglied von Clowns & Helden höchstselbst die Hand an den Song angelegt. So geben ROH dem versifften Klassiker einen ganz anderen, rotzig-naiven und jugendlicheren Touch, auch wenn die neue Version nicht ganz an den Charme des Originals herankommt.

Zuvor hatte ich den Griffel eigentlich längst gespitzt für einen zünftigen Totalverriß dieses Albums, es kam natürlich mal wieder ein wenig anders. Die ersten musikalischen Ergüsse - was ausnahmsweise durchaus wörtlich genommen werden darf - unter dem Namen ROH, ein Fun-Punk-Album mit dem Titel "Wie krieg ich die Zeit bis zu meiner Beerdigung rum" nebst Semi-Hit "Ich möchte nicht mit der Kelly Family verwechselt werden" und ein zweites Album mit Vertonungen von Briefen an Dr. Sommer, ließ mich ROH zuerst für eine pubertierende Teenie-Band halten und sie beinahe ungehört und unbenotet zurück auf die Schulbank zu schicken.

Tatsache ist, daß hinter ROH alte Hasen im Musikbiz stecken. Nachdem die drei Musiker schon Songs für so unterschiedliche Künstler wie Die Prinzen, Blümchen, Udo Lindenberg, Nena oder Vicky Leandros geschrieben haben, ist anzunehmen, daß sie musikalisch wirklich etwas auf dem Kasten haben und wissen, was sie da tun. Um Sänger Lukas Hilberts Stimme dann doch noch als Männerstimme und nicht die eines 16-jährigen Girlies zu erkennen braucht man schon einige Durchläufe, und selbst dann ist man sich noch nicht sicher.

"Rohmantisch" ist mit seinem übertriebenen Pathos unter dem Strich auch mit viel gutem Willen kaum als Rock oder Independent anzusehen. Und so ist es auch bitte relativ zu sehen wenn ich hier ein wenig Lob und immerhin noch 4 Punkte vergebe, denn ROH treffen meinen persönlichen Geschmack nicht wirklich und wohl auch den der meisten Rockfans nicht. Dennoch verbreitet das Album einen gewissen Charme, und man darf auch nicht vergessen, für welche Zielgruppe diese Musik hauptsächlich gemacht ist, ihrem Bandnamen werden ROH dabei nie wirklich gerecht. Ihnen sind vielmehr 12 symapthische Schlager-Pop-Stücke von Nicht-Teenies für ein junges Publikum gelungen, die sich zwar an neuem deutschen Schlager von Rosenstolz und zwischendurch auch deutschen Rockröhren wie Jule Neigel, Herbert Grönemeyer oder den Ärzten orientieren, den Anspruch der letztgenannten aber zu keiner Zeit erreichen oder auch nur zu erreichen versuchen. Die Frage, ob für eine zweite, reifere Version von Echt mit beinahe-weiblichem Gesang auf dem Markt noch Platz ist beantwortet sich angesichts des Erfolgs von "Freischwimmer" sowieso von selbst, und Bands, die sich selbst nicht ernst nehmen kann es in den Charts gar nicht genug geben.

Für Schlagzeilen sorgten ROH übrigens kürzlich auch mit der Idee, mit freundlicher Unterstützung des unsäglichen Lotto King Karl (den die Band dafür im Gegenzug bei der Grand Prix-Vorausscheidung musikalisch unterstützt) jedem Konzertbesucher 10 Mark für sein Kommen in die Hand zu drücken anstatt sich bei einer bekannteren Band als Vorgruppe einzukaufen. Im Info bekommt man dann noch lustige Dinge zu lesen wie "Das erste erstzunehmende Trio seit Police" oder auch "Würden wir englisch singen würden wir weltweit mit Doppelplatin, ganz oben in den Billboard-Charts steh'n". Dazu wird dann auch ein gerührter Elton John mit "Ich habe zuhause gesessen und die ganze Nacht dazu Klavier gespielt"... sagen wir "zitiert".

"Es ist nicht immer kitschig, laß mich schreien" singt Lukas in "Mein Paradies" und trifft damit den Kern nicht unbedingt. Weitaus treffsicherer ist hingegen der köstliche Songtitel "Ich hab mein Handy in der Hamburger Schule verlorn". Nenn es kitschig, nenn es nervig - ich nenne es mit Gitarren auf salonfähig getrimmten Schlager oder auch einfach nur Hamburg ohne Coolness. Und das ist vielleicht auch mal gut so.

(Armin Linder)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Ich liebe dich
  • Viel zu weit weg

Tracklist

  1. Du brennst immer noch in mir
  2. Die Welt ist voller Frauen
  3. Ich liebe dich
  4. Sex
  5. Erschießen
  6. Viel zu weit weg
  7. Mein Paradies
  8. Hälfte zuviel
  9. Ich bin tot
  10. Hört mir überhaupt hier irgendeiner zu
  11. Ich hab men Handy in der Hamburger Schule verlorn
  12. Wenn der Morgen kommt
Gesamtspielzeit: 48:34 min