U2 - Songs of experience
Island / UniversalVÖ: 01.12.2017
Cui Bono?
Vor 20 Jahren erhielt Bono wahrscheinlich sogar Fanpost von den entlegensten Südseeinseln. Heute hat sich der Postweg umgekehrt. Vor 20 Jahren waren U2 aber auch so etwas wie die größte Band des Planeten. Mammut-Tourneen, sündhaft teure Videoclips, die Maschine lief wie geschmiert. Um die Jahrtausendwende geriet sie erstmals merklich ins Stocken. "All that you can't leave behind" war beileibe kein schlechtes Album, aber erstmals kein Schritt nach vorn, sondern einer zurück. In den folgenden Jahren verfestigte sich der Eindruck: U2 überlebten als Marke, aber nicht als Band. Für den lächerlichen Höhepunkt dieser Entwicklung sorgte das Quartett dann im Jahr 2014 selbst: Die Idee, allen iTunes-Nutzern das Album "Songs of innocence" per Osterhasenverfahren ins Nest zu legen, entpuppte sich als Rohrkrepierer. Spott und Häme ergossen sich über die Iren, obwohl das Album an sich gar nicht mal so übel war. Für die meisten Schreiber und Hörer stand allerdings fest: U2 hatten fertig.
Doch Bono, The Edge und die anderen zwei machten weiter. Ihr neues Werk "Songs of experience" wurde mehrmals verschoben, so richtig darauf gewartet hat aber ohnehin niemand. Nun, da es erschienen ist, scheiden sich wieder einmal die Geister. Ist es wirklich die lang ersehnte Rückkehr zu den großen Momenten? Oder ein weiterer Sargnagel? Die klare Antwort lautet: nichts von beidem. "Songs of experience" ist in erster Linie fürchterlich egal. Es ist ein Dokument einer Band, die im künstlerischen Niemandsland gestrandet ist und den Rückweg nicht finden kann oder will. Viele der Songs klingen, als hätte sie eine U2-Tribute-Band komponiert und eingespielt. Besonders schmerzlich ist, dass von den alten Markenzeichen fast nichts übriggeblieben ist. Bonos Stimme braucht einige Hilfe aus dem Computer, während The Edges Gitarrenläufe saft- und kraftlos aus den Lautsprechern tröpfeln. Immerhin verrichten Adam Clayton und Larry Mullen ihre Jobs anständig, besonders Claytons hübsche Bassfiguren lassen wiederholt aufhorchen.
Doch geht es bei einem U2-Album nicht um die Einzelleistungen der Musiker, sondern um das große Ganze. Und Bono prescht wie immer voran: "Love is all we have left" verkündet er ganz bescheiden, während im Hintergrund die Streicher flirren. Pathos und U2 gehören selbstverständlich zusammen wie Currywurst und Pommes, die beseelte Entrücktheit früherer Tage ist jedoch dahin. Einige Songs wissen aber durchaus zu überzeugen. So besitzt "You're the best thing about me" einen wuchtigen Refrain, während "Summer of love" aufgrund hübscher Gitarrenlicks direkt den Weg ins Ohr findet. Die kompositorische Sackgasse, in die sich die Band manövriert hat, wird hingegen in "Get out of your own way" offenbar: Hier recyclet sie nicht nur den Achtel-Rhythmus von "Beautiful day", sondern zitiert gefühlt noch fünf weitere altbekannte Gassenhauer. Letzten Endes klingt das alles erschreckend nach Coldplay, was nun wirklich keiner von einem U2-Release will.
Die Überraschungen muss man daher auch mit der Lupe suchen. In "American soul" revanchiert sich Kendrick Lamar für U2s Kollaboration in "XXX", hinterlässt dabei jedoch keinen bleibenden Eindruck. Der Song selbst eiert irgendwo zwischen "Vertigo" und Fallobst herum. "Red flag day" wartet unterdessen in den Strophen mit leichten Reggae-Anleihen auf, ehe der Refrain sich mit seinen Chorgesängen an U2 der Achtziger orientiert. Eingängig und gefällig produziert ist das alles, das Fehlen jeglicher Widerhaken sorgt jedoch für Ernüchterung. Dass Bono textlich nicht viel mehr als Durchhalteparolen und Binsenweisenheiten zu bieten hat, verschlimmert die Situation nur noch. Wirklich gruselig wird es in den schleimtriefenden Balladen. Besonders "Love is bigger than anything in its way" macht betroffen. Bonos nicht enden wollende Aneinanderreihung von Plattitüden ersäuft in allerhand synthetischem Gedöns, bis auch wirklich jeder begriffen hat, dass die Produktion teuer war.
Dabei könnten sie es noch, wenn sie denn wollten. Das folkig-verspielte "The showman (Little more better)" ist gerade deshalb gelungen, weil einmal nicht die Priesterpose bemüht wird. "13 (There is a light)" sucht dann, wenn auch viel zu spät, die Versöhnung. Hier passen Form und Inhalt endlich zusammen und Bonos Weltverbesserer-Lyrik wird durch die Musik nicht ad absurdum geführt, sondern geschmackvoll untermalt. Doch eigentlich ist die Musik auf einem U2-Album mittlerweile zweitrangig. Sie ist vorhanden und einige Songs werden sicher ihren Weg in die Setlisten der nächsten Welttournee finden. Dazwischen wird Bono Reden vor der UN-Vollversammlung halten und Briefe nach Guernsey schicken, während The Edge eine Mütze trägt. Und die anderen zwei? Die machen das einzig vernünftige: Sie genießen ihr Leben. Bis zum nächsten Album.
Highlights & Tracklist
Highlights
- You're the best thing about me
- Summer of love
- 13 (There is a light)
Tracklist
- Love is all we have left
- Lights of home
- You're the best thing about me
- Get out of your own way
- American soul
- Summer of love
- Red flag day
- The showman (Little more better)
- The little things that give you away
- Landlady
- The blackout
- Love is bigger than anything in its way
- 13 (There is a light)
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Huhn vom Hof
2023-01-15 14:36:52
Auch "Red Flag Day" kann sich hören lassen, es hat nen tollen Rhythmus.
Huhn vom Hof
2023-01-13 13:28:33
Mittlerweile würde ich diesem Album wohl eine 5/10 geben. Ein paar Songs sind ganz ok:
Summer of Love
13 (There Is A Light)
You're The Best Thing About Me
The Blackout
"Songs of Innocence" ist etwas besser (6/10), da finde ich "The Troubles" mit Lykke Li traumhaft.
The MACHINA of God
2019-09-24 14:25:32
Ach so, und The Edge war nie schwächer.
Highlights:
Opener, "The little things..."
The MACHINA of God
2019-09-24 14:21:06
Mal wieder gehört. So schlimm wie in Erinnerung ist es nicht, aber für mich klar das schwächste das ich kenne von ihnen. Das Album teil mit seinem Bruder "Innocense" vor allen Dingen die schwache Produktion, die weder Fleisch noch Fisch ist (wenn ich da an die tolle Produktion von "No line" denke). Der Vorgänger hatte aber durchweg bessere Songs zu bieten.
Ein weiterer Nachteil ist auch, dass Bonos Stimme wohl doch langsam nachlässt (aber für einen fast 60-jährigen immer noch toll ist). Aber auf "No line" gab es für mich die letzten stimmlichen Highlights von ihm.
6,5/10
Huhn vom Hof
2019-06-07 18:07:38
3/10 sind noch großzügig ;) Dem Album geht die Leidenschaft älterer Alben total ab.
"Pop" gebe ich auch 9/10, ist für mich immer noch ihr bestes Album.
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