Sumie - Lost in light

Bella Union / [PIAS] Cooperative / Rough Trade
VÖ: 10.11.2017
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 5/10
5/10

Sie ist es und sie ist es nicht

Wie die das nur hinbekommen, also schon seit Jahren, dass Perle für Perle Pop aus dem Schwedenland zu uns rüber rollt. Lykke Li, Anna Ternheim, Anna von Hausswolff, Feingeistiges, Feinsinniges, Graziles – diese Musik ist kein Geheimtipp mehr, hat dafür doch diese Eigenart des Fantasierens, dass bei geschlossenen Augen die vernebelte Fauna durchhuscht wird. Und da ist die Natur noch gesund, und da stehen die Birken noch gerade, und wieso winkt daneben auf einmal ein Elb aus "Der Herr der Ringe"? Sumie kann dieses Träumen und Herumspinnen, im Kopf und im Wald. Und doch hat sie es schwer. Wegen Konkurrenz. Insbesondere der aus ihrer Stammstadt Gothenburg (rundrum José González): Viele machen da auch intime Songs, zupfen locker von der Gitarre weg, folkig, Retro, auf doppelter Introspektion, also dass sich der Songschreiber oder die Songschreiberin erst selbst unter die Haut fährt und dann unter die der Zuhörenden. Sandra Sumie Naganos Debüt (ja, ihre Schwester spielt bei der auch nicht unbekannten Band Little Dragon) war dennoch eigener und ein wenig begeisternder. Auch, weil ein Nils Frahm das Klavier spielte.

Dann musste sie vier Jahre aussetzen. Inspirationskrise. Mal überlegen, wie das weitergeht. Grübeln, zweifeln und dabei, ganz kirre, sich wieder davon ablenken, was durch den Kopf wabert. Sumie hamsterte sich in eine Bücherei ein. Und las, über Kunst, Vögel, die Geschichte der Welt, dann Gedichte und Essays übers Kino. Sowas wie: Wie die andauernd unstete Kamera in Filmen von David Fincher die Dynamik der Charakteren beeinflusst. Das ist auch ein wenig Meta, wenn sich Sumie damit ablenkte, also mit der Theorie des Ablenkens. Was eben nur eine Weile ausreichte, dann musste "Lost in light" her. Licht, unklar, ob flirrendes Sonnenlicht oder die Projektion an der Kinoleinwand gemeint ist. Oder ist es, ganz buddhistisch, eben doch das Licht in jemandem selbst, hier: Das Licht in Sumie selbst, in dem sie sich verfing?

Ein wenig schon. Wie auf dem Debüt stellt sich Sumie auf zur ungehemmten Ichschau. Ein wenig unentschlossen und fatal berührt findet sie Liebe, verliert sie wieder. Da heißt es auch mal: "We spread and die in eternity / We shall bloom again.".Das ist: überschwer, überbedeutend, viel zu viel Gravitas. Und übt sich daran, wenn es allzu intim werden könnte, wieder abzulenken: Denn da gibt es noch die Briefe von Soldaten aus den beiden Weltkriegen, die sie in dieser Bücherei gefunden hat. Vergilbtes Papier, Botschaften an Familien und Freunde, verfasst ohne zu wissen, ob das dort Geschriebene überhaupt je ankommt und ob es nicht schon einem Testament gleicht. Harte Kost, nachhaltige, die auch ein wenig hinterfragen lässt, warum Sumie nicht daraus ein Konzept gebastelt hat, ein vollständiges Album, die Idee wäre stark genug und die Story ist es auch. Aber es wurde nur "Blue lines" daraus, und auch in "Night rain" kommen die Texte vor.

In "Night rain" als Geschichte in eine andere Zeit, in der die Geliebten zurückgelassen werden, weil durch den Regenschauer gegangen und verschwunden wird. Die Musik dazu: verträumt, Wehmütig, zarte, aufschimmernde Gitarren, kaum mehr. Glöckchen und stark dramatisierende Geigen gibt es in "Leave me", und überhaupt haben die Begleitklänge viel eines Grimmschen Märchens, weil sie gar nicht so stark auf einen Klimax hinarbeiten, man sich mit ihnen unsicher fühlt und sie andauernd von atmosphärischen Stimmungsmachern verändert werden: Drehorgeln, Trompeten, da ist so viel zu hören, was Sumie dem Purismus ihres Debüt nun hinzufügt. Dabei bleibt alles vage. Als würden die Klänge verhuschen. Als wäre da ein sanftes Schneegestöber, das sich langsam über die Audiospuren legt, bis sie verschwinden.

Das ist mystisch an "Lost in light". Wie auch "Divine wind". Sumie vertont hier ein Gedicht des schwedischen Lyrikers Daniel Klevheden: Im Königreich der Sonne, da tänzelt jemand am Meer, dabei liegt die Kirche in Trümmern – das sind so dichte, kräftige Bilder, die von Sumie nur noch flankiert werden mit kleinen Gitarrentupfern und ein wenig Hall. Überhaupt der Hall: Sumie arbeitet mit einer Art umgekehrtem Drone-Sound. Anstelle von Härte und Schwere durch Wummern und Brummen klingeln und schimmern bei ihr Töne im Hintergrund, die luftig, die erhebend wirken. Und ihrem sonst rudimentären Sound eben Tiefe verleihen. Stellenweise, man nehme "Walk away", wirkt das beinahe schon pastoral und großartig. Da flackert ein Licht, ein undeutliches Bild, das, wäre es klar erkennbar, so viel an Reiz verlieren würde. Kontemplation ist oft auch Quatsch. Aber das Verborgene an "Lost in light" macht es so gut. Etwas in ihr schreibt die Geschicht', Sumie ist es und sie ist es nicht. Poetischer ist sie allemal.

(Maximilian Ginter)

Bei Amazon bestellen / Preis prüfen für CD, Vinyl und Download
Bei JPC bestellen / Preis prüfen für CD und Vinyl

Highlights & Tracklist

Highlights

  • Divine wind
  • Walk away

Tracklist

  1. Fortune
  2. Night rain
  3. Blue lines
  4. Pouring down
  5. Fr+
  6. Divine wind
  7. Leave me
  8. The only lady
  9. Walk away
Gesamtspielzeit: 40:12 min

Im Forum kommentieren

Armin

2017-11-23 21:21:51- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?

Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.

Spotify

Threads im Forum