Bill Murray & Jan Vogler - New worlds
Decca / UniversalVÖ: 29.09.2017
Bill Murray gibt einen aus
Transatlantikflug, Berlin nach New York, vor rund vier Jahren: In der ersten Klasse, irgendwo ganz vorne in der Maschine, treffen Bill Murray und Jan Vogler aufeinander. Sie kannten sich nicht. Bill Murray war amüsiert. Neben dem deutschen Star-Cellisten lag das Instrument auf einem eigens dafür gebuchten Sitz. So viel Dekadenz für ein Cello, mag es noch so exquisite Töne von sich geben... Auch Vogler war amüsiert. Darüber, dass es Murray so sehr amüsierte, obwohl er nicht so recht wusste, wer da saß. Aber dann lief "Stripes" im Bordkino, zu Deutsch mit dem bescheuerten Titel "Ich glaub', mich knutscht ein Elch!" verballhornt. Vogler erkannte Murray. Murray sprach Vogler aufs Instrument an. Und siehe da: Eine Freundschaft entstand, eingeleitet von einer langen Rede über Literatur und Musik. Der Grundstein fürs Album "New worlds".
Die Mixtour der Beiden ist zunächst einmal ziemlich gaga: Murray liest vor, Texte von Walt Whitman etwa, solche von Mark Twain; Vogler fiedelt dazu, zumeist kammermusikalisch, also unterstützt von Piano und Geige. Musik von Bach, Schubert, Saint-Saëns. Ein bisschen bildungshuberisch kommt das natürlich rüber. Und so, als müsse man die eigene Beflissenheit Spalier stellen, denn dann trällert auch noch Gershwins "Porgy and Bess" und ein wenig Broadway mit Stücken aus "West Side Story", etwa "I feel pretty": "I feel pretty / Oh, so pretty / I feel pretty and witty and bright!" Fürs Attribut der Bedeutsamkeit klebt noch das Klassiklogo vorne drauf. Was soll das?, fragt man sich. Vogler als Könner und Murray als Impresario, als großer Hollywood-Name, der mehr durch Anwesenheit zu beeindrucken scheint als durch seine Gesangs- und Zitationsleistungen. Aber ist das wirklich so?
Für Bill Murray wurde ein eigenes Tao formuliert. Der Journalist Gavin Edwards leitet anhand der Lebensgeschichten buddhistische Prinzipien ab, die letztlich darauf aus sind, im Moment zu leben, zufriedener zu sein, auch ein wenig stoischer dem Unsteten und menschlich Kaputten gegenüber zu treten. Denn Storys über Murray gibt es zuhauf: Wie er spontan auf einer Karaoke-Party aufkreuzte und die Stimme an sich riss; wie er uneingeladen eine Hochzeitsfeier bereichert und Braut und Bräutigam dann in die Höhe schmiss; wie er sich nimmt, was er möchte (Golfwagen, Straßenreinigungs-Fahrzeuge, Whiskeyflaschen) und ihm dabei niemand so recht krumm wird. Häufig, wenn er wildfremden Menschen ein paar Pommes vom Teller klaut, sagt er dazu: "Das glaubt Ihnen keiner." Das ist eben Bill Murray. Eine Schauspielkollegin meinte, sie hätte noch niemanden getroffen, der so dermaßen mit sich selbst im Reinen sei, bei dem man gleichzeitig das Gefühl habe: Der macht wirklich das, was er will und denkt dabei nicht an Gestern und die vielen möglichen Konsequenzen seines Handelns.
Und das ist auch die eigentlich interessante Komponente von "New worlds". Murray singt bei weitem nicht so gut, dass es sich deshalb lohnen könnte, dieses Album dorthin zu räumen, wo die Aufnahmen von Opern- oder Broadway-Sängern stehen. Voglers Spiel erheitert, aber ist auch keine Triebfeder der Ideen oder gar revolutionär. Da gibt es, gerade von ihm, bessere Aufnahmen. Aber "New worlds" hat dennoch eine ungemein große Menge an Charme. Es ist dieses Beherzte, das Tollkühne, die kompromisslose Hingabe, die gerade funkelt, wenn Murray Van Morrison covert. "When will I ever learn to live in God" schmettert er, schief und krakeelend, dabei ist es Murray so egal, wie uncool oder eben schief das rüberkommen könnte. Er macht es einfach. Und dadurch macht er es gut. Sein Fingerzeig geht auch in Richtung aller Zyniker und Ironiker: Man kann lustig sein, ohne zu persiflieren oder sich über etwas lustig zu machen.
Auch die Broadway-Revuen werden dadurch eigen, eigenwillig, seltsam, aber besonders. Und es bleibt dabei nur daran zu denken, wie begeistert es Vogler und Murray bei den Studioaufnahmen gegangen sein muss, als sie sich gegenseitig zuspielten, in diesem herzlichen Jungseifer. Es ist diese blöde Phrase der Musikkritik, aber sie trifft für "New worlds" nun einmal zu: Hier sind Künstler ganz bei sich. Es handelt sich um eine Aufnahme der Aufnahme wegen. Auf Beschreibungseben kommt man dabei nicht weit: Ein wenig Klassik im Hintergrund, Bill Murrays Säuseln im Vordergrund – eine zunächst nüchterne Komponente, die im Verve der Beteiligten umfällt. Es handelt sich um keine coole Platte, und dennoch um das wohl lässigste Klassik-Album des Jahres.
Weil zur Abwechslung einmal Klassik erheitert. Die andere mögliche Interpretation, dass diese Songs alle so kosmopolitisch sein wollen, dass "New worlds" auch den gewollten Plural darstellt, und deshalb ein Amerikaner und ein Deutscher sich verknüpfen, um Tango und etwas deutsche Klassik mit amerikanischen Literaturklassikern zu kombinieren. Dass sie im Abschlusssong sogar "Puerto Rico is in America" dazu dichten, also die US-Grenzen öffnen – diese Deutung ist viel zu anstrengend im Vergleich zur guten Laune, die diese Stücke definitiv machen. Ein spontanes Werk eines weltbekannten Klassik-Cellisten und eines berühmten Schauspielers, der recht krumm singt. Das glaubt einem doch keiner ...
Highlights & Tracklist
Highlights
- Piano trio No. 1 in B Flat, Op.99 D.898 - 2. Andante un poco mosso / The deerslayer
- When will I ever learn to live in God
- Bernstein: West Side Story - I feel pretty
- Bernstein: West Side Story - America
Tracklist
- The carnival of the animals, R.125 - The swan / Blessing the boats
- Song of the open road / Song of myself
- J.S. Bach: Suite for cello solo No. 1 in G Major, BWV 1007 - 1. Prélude
- Piano trio No. 1 in B Flat, Op.99 D.898 - 2. Andante un poco mosso / The deerslayer
- Gershwin: Porgy and Bess - It ain't necessarily so
- Piazzolla: Muerte del Angel
- When will I ever learn to live in god
- Mancini: Moon river / Adventures of Huckleberry Finn
- Foster: I dream of Jeanie with the light brown hair
- Sonata in G Major for Violin and Piano - 2. Blues (Moderato) / If Grant had been drinking At appomattox
- Bernstein: West Side Story - Somewhere
- Bernstein: West Side Story - I feel pretty
- Bernstein: West Side Story - America
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Hedgefondshog Day
2017-11-24 16:30:52
PS: Hab die Platte natürlich nicht gehört, aber meine Meinung werd ich ja wohl trotzdem sagen dürfen.
Hedgefondshog Day
2017-11-24 16:02:53
Jeder liebt irgendwie Bill Murray. Doch braucht man deswegen eine wahrscheinlich charmante, aber auch halbgare Cover-Platte von ihm? Und wenn man nach Alben von Schauspielern Ausschau hält, sollte man nicht doch lieber zu Charlotte Gainsbourg oder Jeff Bridges greifen?
Underground
2017-11-24 14:26:53
nee, der andere.
Vögeler
2017-11-24 11:27:13
DER Bill Murray?
Armin
2017-11-23 21:20:04- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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- Bill Murray & Jan Vogler - New worlds (5 Beiträge / Letzter am 24.11.2017 - 16:30 Uhr)