Hey Ruin - Poly

This Charming Man / Cargo
VÖ: 24.11.2017
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
8/10

Unter der Glocke

In der Computerwelt und in IT-Kreisen bezeichnet das Akronym "Ram" nicht mehr und weniger als den Arbeitsspeicher, auch als "Speicher für schnelle Zugriffe" definiert. Irgendwie logisch vor dem Hintergrund, dass sich Hey Ruin im Kontext des Hier und Jetzt genötigt fühlen, ihren Song über das Flüchtlingsthema und den höchst fragwürdigen, doppelmoralischen Umgang von Politik und Gesellschaft mit dieser Herausforderung ebenfalls "Ram" zu nennen. Flüchtende Menschen in Nordafrika in Lager sperren, die von korrupten Organisationen zu deren Profit bewacht werden? "Das sind Lager / Kein Zuhause / Das ist keine Hilfe / Nur Betäubung", stellt die Punkrock-Formation aus Trier und Köln folglich klar. Hauptsache, diese humanitäre Katastrophe ist weit genug weg, tangiert möglichst selten das Blickfeld.

Denn mal ehrlich: Wem erging es noch nicht so? Kopfschütteln und kurzzeitige Empörung während der täglichen Dosis Nachrichten, und dann schnell wieder rein in die Mühle namens Alltag – die in diesem Zusammenhang quasi zur Wohlfühloase mutiert. "Eimer saufen / Augenwinkel / Kurz betroffen sein / Ach, egal!" monieren Hey Ruin und schieben im nächsten Atemzug hinterher: "Für mich ist das Mord!" Nicht immer legt "Poly", die zweite Platte des Fünfers, den Finger thematisch derart direkt in offene Wunden. Das ist aber auch nicht nötig, weil Hits nicht nur in der Wohlfühlglocke funktionieren, sondern dieser melodische Punk seine Wucht genau aus solchen Widersprüchen schöpft. Und davon hat das Album gleich mehrere zu bieten. Der Titelsong etwa nimmt etwas Staub vom Parkett, braucht sich mit seinen tollen Gitarrenlinien und seinem Hang zur Hymne aber gerade deswegen vor den Genre-Großtaten nicht zu verstecken. Zumal am Ende eine der zahlreichen tollen Zeilen des Albums wartet und dem Grenzwall- und Mauerbau-Wahn der neo-nationalistischen Bewegung entgegnet: "Die Erde ist nicht rund / Sie hat tausend Seiten / Wer über den Rand hinaussehen will / Muss nur etwas höher steigen."

Räudigere Stücke wie "Magneto" mit verzerrten Riffings und gehörig Poltergeist im Schlagzeug und das tolle "Cortextrouble" thematisieren den Kreuzgang, der ach so perfekten Gesellschaft gerecht zu werden und bilden die Überlastung ab, mit der viele angesichts von Druck im Job und Anforderungen der Familie zu kämpfen haben. Und die letzten Endes wohl mit dazu führt, dass man sich außerhalb seines Sichtfeldes kaum mehr engagiert. "Über dem Abfluss" ist ein nachdenkliches, post-punkiges Stück und bedient sich der nordischen Kühle und auch jener Gitarrenarbeit, die man an Turbostaats "Abalonia" so schätzt. Doch das ist, wie überhaupt dieses "Poly" im Ganzen, ziemlich abwechslungsreich und erstaunlich mitreißend. Und immer dann besonders gut, wenn die Experimentierfreude der Jungs sogar Platz für ein jazziges Saxophon-Interlude schafft, bevor die ganze Chose implodiert: "Kalter Boden macht / Dass die Schritte niemals stehen." Vielleicht ein Lichtblick, eine Motivation in unserer egoistischen, sozial mehr und mehr fröstelnden Welt. Und die Hoffnung, dass die Frostbeulen bald zu schmerzen beginnen.

(Eric Meyer)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Ram
  • Poly
  • Über dem Abfluss
  • Cortextrouble

Tracklist

  1. Ram
  2. Poly
  3. Smells like teens
  4. Über dem Abfluss
  5. Magneto
  6. Pinguine
  7. Cortextrouble
  8. Mono
  9. Miliz vor Ort
Gesamtspielzeit: 36:05 min

Im Forum kommentieren

MartinS

2020-01-15 20:37:38

Bin gestern über "Arthur und die Diaspora 1" vom Debüt gestolpert und habe dann erst bemerkt, dass die ja schon ein zweites Album veröffentlicht haben.
Deutlich handzahmer bislang, aber nicht übel.

Der Finne

2017-12-07 19:41:04

Habe sie im September gesehen und waren sehr gut.Ihre 1.CD ist auch schon sehr gut,leider ist der Gesang etwas unverständlich.

rainy april day

2017-11-27 23:59:09

Klingt vielversprechend, da werde ich mal intensiver reinhören.

Armin

2017-11-23 21:19:32- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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