
Bibio - Phantom brickworks
Warp / Rough TradeVÖ: 03.11.2017
Das Murmeln der Gemäuer
Bei einer so reichhaltigen, weil vielfältigen und unbestimmten Diskographie wie der des Stephen Wilkinson darf es wohl kaum verwundern, wenn innerhalb von nur etwas mehr als 18 Monaten nach Release von "A mineral love" das Dasein auf der Effektautobahn gegen das eines Naturnomaden eingetauscht wird. Genau so fühlt sich "Phantom brickworks" – so der entsprechend pragmatische Titel des mittlerweile achten Longplayers – nämlich an: wie der Entschluss zum Zölibat im Novembernebel. Dabei steckt in den neun teilweise selbst für Ambient-Tracks beachtlich langen Stücken jedoch mehr Schwur als Abschwur. Entstanden sind die größtenteils improvisierten Instrumentalstücke fast ausnahmslos in Anspielung auf teils verlassene, teils historische Bauten walisischer Kleinstädte und Nationalparks, die Wilkinson bereiste. Seine Feststellung: "A place can be charged with atmosphere because of what it has been through or what it has been." Angesichts der Entstehungsgeschichte klingt das vielleicht übermäßig bedeutungsschwanger, und hört man genau hin, wabert da neben Glockengeläut in "Capel Celyn", Kindergelächter in "Phantom brickworks III" oder den seichten Wellen aus "Branch line" auch mindestens das subtile Seufzen eines (selbst-)zufriedenen Romantikers umher – oder nicht?
"Phantom brickworks" jedoch ist – trotz des gelegentlichen Hangs zum Kitsch – kein Werk für die kleine Gute-Nacht-Musik geworden. Während in der Gesamtheit der Dinge die eine oder andere kreisende Pianomelodie vielleicht zu sehr an sich selbst festhält, bleiben Ausblick und Produktion durch die gesamte Länge von 71 Minuten extrem fokussiert und gewohnt ambitioniert. So klingt der Opener "403" in Teilen, als habe Wilkinson sich an einer nachträglichen Instrumentierung der ganz besonders tonlosen Szenen aus Kubricks "2001" versucht. Spätestens das Fundament der Platte um die drei Titeltracks demonstriert dann über fast zwei Drittel der Spielzeit, wie mit nur Synthesizer, hallendem Klavier, jeder Menge Loops und Industriesounds den Orten ihrer Inspiration ein roter Teppich auszulegen ist. Da ist es umso ärgerlicher, dass dieser sich auf die Gesamtspielzeit des Albums gesehen leider nach und nach als Second Hand-Fabrikat entpuppt. Man möchte meinen, Wilkinson habe es im Angesicht der eigenen Ambition bloß mit der realistischen Vertonung der von der Zeit gezeichneten Architektur übertrieben – schade ist es dennoch, dass neben "Phantom brickworks", Teil 1, bis "Phantom brickworks III" nur das außerordentlich treibende und ganz seinem Titel folgende Klavierstück "Branch line" so etwas wie eine bleibende Assoziation erweckt.
Es ist kurzum fast Ironie, dass sich gerade die Konzeptverliebtheit der Platte als Stolperstein entpuppt und akustisch einmal zu häufig dort Weite suggeriert, wo vier Wände die Sicht versperren sollten. Nicht unbedingt vewunderlich aber, lud Warp Records Anfang November doch zur Premiere des Albums als audiovisuelle Installation in die historische Old-Truman-Brauerei am Londoner Brick Lane Market ein. Vielleicht ist es ja auch der der Musik eigenen Nostalgie geschuldet, dass man das plötzlich für zu dick aufgetragen hält. Vielleicht sind Eskapismus unter Kirchenglocken ja doch kein Kitsch, sondern längst vergessene Notwendigkeit. Denn eines hat die Architektur dessen, was Wilkinson auf "Phantom brickworks" (er-)schafft, am Ende definitiv mit der jener walisischen Kapellen gemeinsam: ein solides, mit Leben gefülltes Fundament.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Phantom brickworks
- Branch line
Tracklist
- 403
- Phantom brickworks
- Pantglas
- Phantom brickworks II
- Capel Celyn
- Phantom brickworks III
- Ivy charcoal
- Branch line
- Capel Bathania
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Gomes21
2017-11-16 09:35:37
Ja, wie auch die Vorgänger. Weiß nicht was PT an ihm gefressen hat
W87
2017-11-16 07:47:51
Tolles Album!
Armin
2017-11-15 21:29:18- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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