
Autobahn - The moral crossing
Tough Love / CargoVÖ: 03.11.2017
Vorfahrt für Vorfahren
Was hätte Martin Hannett getan? Abgesehen davon, dass er sich mit Drogen vollpumpte, irgendwann 165 Kilo wog und bereits mit 42 an einem Herzinfarkt starb? Fragten sich Autobahn offensichtlich anlässlich ihres Debüts "Dissemble", das den rohen, maßgeblich auf den stilbildenden britischen Produzenten zurückzuführenden Manchester-Post-Punk von Joy Division schlappe 70 Kilometer weiter nördlich ins zugige Leeds verlegte – wie es bereits die benachbarten Kollegen Eagulls vorgemacht hatten. Statt wie diese auf "Ullages" aber die allzu schroffen Ecken und Kanten zu glätten und farbenfrohem Rave-Rock mehr Platz einzuräumen, bleiben Autobahn auch mit "The moral crossing" tief in den grauen Industriegebieten ihrer Heimat und in der Ästhetik der eingehenden achtziger Jahre verhaftet – mit der Gitarre als Stachel im Fleisch der Trostlosigkeit. "Take it from me / You'll all be forgotten", mahnt Sänger Craig Johnson im polternden "Obituary" – merke also: Das Leben ist hart, aber es geht vorbei. Schlage Krach, solange Du kannst.
Eine Maxime, die das Quintett zur Genüge beherzigt, was auch am rastlosen Spiel von Liam Hilton liegt, der einen Großteil der Stücke mit rasantem Drum-Stakkato überzieht – als hätte man sämtliche Exponate des "Closer"-Openers "Atrocity exhibition" auf Hochglanz poliert, während Johnson seine grimmigen Texte so manisch durch die zusammengebissenen Zähne spuckt, dass ihn selbst Ian Curtis zur Ordnung rufen würde. Kein Wunder, dass "The moral crossing" kaum einmal zur Ruhe kommt. Nicht einmal bei "Torment", da Hilton seinem Schlagzeug auch dann keine Pause gönnt, wenn sich samtene Keyboard-Flächen und selbstvergessene Licks in ansatzweiser Dream-Pop-Manier mit zart französelnder Frauenstimme mischen. Schon aufgeräumter: die Single "Future", die sich trotz schlanker Synthie-Sequenz weniger an Kraftwerk als an gelegentlich von Primal Scream gezündeten Dancefloor-Bömbchen wie "Miss Lucifer" orientiert. Da soll noch jemand sagen, die Zukunft sei nicht mehr, was sie mal war.
Ein ähnliches elektronisches Flackern leitet den Titelsong ein, der zunächst den mancunischen Altvorderen erneut die Vorfahrt gewährt, immer weiter anschwillt und schließlich in einem verschwenderischen Streicher-Crescendo endet – das ausladendste, kompletteste und wohl auch beste Stück dieses Albums, das seine Knorrigkeit und aggressive Beklommenheit in sechs allesverschlingenden Minuten auf den Punkt bringt. Was Autobahn genauso in die Nähe der Albtraum-Psychedelia von The Horrors rückt wie "Creation", zu dessen stoischen Riffs Johnson in tonlosem Spoken-Word-Stil eine Art spirituelle Einkaufsliste abarbeitet, ehe er kehlig gesteht: "I wanna be there for you." Der Mann hat Nerven, nachdem der teufelnde Uptempo-Hit "Execution / rise" kurz zuvor die Köpfe noch reihenweise hat rollen lassen. Im abschließenden Schleicher "Vessel" blitzt gar eine Spur Sehnsucht auf – nach Martin Hannett etwa? Selbst wenn es so wäre: Seine Mitarbeit hätte "The moral crossing" ohnehin nicht nötig gehabt.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Obituary
- Future
- The moral crossing
- Execution / rise
Tracklist
- Prologue
- Obituary
- Future
- The moral crossing
- Torment
- Low / high
- Execution / rise
- Creation
- Fallen
- Vessel
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MM13
2017-11-17 19:31:56
nicht schlecht,irgendwo zwischen bauhaus,front 242 und joy division.
Armin
2017-11-15 21:28:58- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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