
Angelika Express - Letzte Kraft voraus
Unter Schafen / Al!veVÖ: 17.11.2017
Bockwurst mit Musik
Konnte man machen im Jahr 2008: die "Angelika-Aktie" emittieren, um den Zwängen der Plattenindustrie zu entgehen. Heraus kamen 500 zufriedene Anleger sowie das Album "Goldener Trash" – im Grunde nichts anderes als Crowdfunding für hoffnungslose Haptiker, aber von Angelika Express so konsequent durchexerziert, dass selbst das ZDF-Morgenmagazin die Kameras spitzte. Und knapp zehn Jahre später? Zählt der alte böse Kapitalismus immer noch zum Feind und "Letzte Kraft voraus" erneut zum Unterhaltsamsten, was in deutschen Indie-Landen passieren kann. Diesmal immerhin 75 Album-Paten können nicht irren – die Kölner um Robert Drakogiannakis mit Titelstück und erster Single ebenso wenig. Bassmädchen Dani Hilterhaus schmeißt energisch ihr Instrument an, der Rest der Band wirft Bürojob-Verwünschungen zum infektiösen Tanz-Beat hinterher, Drakogiannakis kräht Zeilen wie "Menschelnde Großinvestoren ziehen Dich an beiden Ohren" – wohl wissend, dass zu tollem Pop auch immer ein wenig Grenzdebilität gehört.
Oder aber namhafte Gäste wie Love-A-Frontmann Jörkk Mechenbier beim noch ein Stück weiter aufdrehenden "Vinylbeton", der im kehligen Duett und mit The Mighty Mighty Bosstones' "The impression that I get" im Hinterkopf großspurig das Straßenbauamt für Analogverfechter unsicher macht. Begeistert klirrendes Riffing und Rhythmusgruppe im Schweinsgalopp reichen da bereits für einen frenetischen Instant-Hit, der vorlaut warnt: "Jeden Augenblick ein Song / Das habt Ihr jetzt davon." Immer her damit, wenn's so rasant weitergeht. Auch Frank Spilker von den Sternen tut gerne mit, wenn "Agenten" die Veranstaltung zu schlaksigen Licks so weit herunterkocht, bis das ratternde Halbdunkel von The Rakes' "Capture / Release"-Album ganz nahe ist – eine treffliche Kulisse für dieses kantige Stück Post-Punk über digitale Spionage. Und Klee-Sängerin Suzie Kerstgens darf allein aufgrund der geographischen Nähe als versonnener Charmebolzen inmitten der sonnigen Harmonien von "Am letzten Donnerstag im Mai" nicht fehlen.
Nicht dass Angelika Express solche Zugpferde nötig hätten: Songs wie der aus allen Rohren jubilierende Brecher "Geboren in der BRD" genügen sich selbst und wissen auch den trostlosesten Industriebrachen etwas abzugewinnen, solange eine Bockwurst und eine hübsche Melodie in der Nähe sind. "Ein Jahr" bezieht sich hingegen nicht etwa auf den gleichnamigen Fehlfarben-Klassiker, sondern begleitet den einst in "Geh doch nach Berlin" Angesungenen beim Power-Pop-Rundgang durch den Geburtsort – Fazit: Zu Hause is' auch scheiße. Besser sieht es schon bei den swingenden Jangle-Gitarren von "Schönheit oder Mut" oder in der heimischen Rheinmetropole aus: "Comeback im Dreck" renoviert die heruntergekommenen Veedel zu fuzzigen Szenequartieren, und auch der "Kaiser von Köln" hat etwas zur Lebensqualität der Domstadt zu sagen – viel Gedresche und "Na-na-naaa" inklusive, versteht sich. Allesamt gute Gründe, warum man auch im Jahr 2017 noch eine Platte wie "Letzte Kraft voraus" machen kann.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Letzte Kraft voraus
- Vinylbeton (feat. Jörkk Mechenbier)
- Schönheit oder Mut
- Agenten (feat. Frank Spilker)
Tracklist
- Geh gegen den Rhythmus
- Letzte Kraft voraus
- Vinylbeton (feat. Jörkk Mechenbier)
- Geboren in der BRD
- Am letzten Donnerstag im Mai (feat. Suzie Kerstgens)
- Ein Jahr
- Schönheit oder Mut
- Wir kommen wieder
- Comeback im Dreck
- Kaiser von Köln
- Jägerzaun
- Mister Fantastik
- Agentur
- Agenten (feat. Frank Spilker)
- Für Paul
Im Forum kommentieren
Armin
2017-11-16 20:01:33- Newsbeitrag
Bevor morgen das neue Angelika Express Album "Letzte Kraft Voraus" erscheint, hat die Band noch ein Video zum Album-Highlight "Vinylbeton" veröffentlicht. Auf dem Song erhält die Band prominente Unterstützung von Love A Sänger Jörkk Mechenbier.
Über eine Verbreitung des Clips, der gestern auf intro.de Premiere feierte, würden wir uns sehr freuen!
Angelika Express feat. Jörkk Mechenbier - "Vinylbeton" (Musikvideo)
Gastsänger Jörkk Mechenbier zum Duett mit der Kölner Band:
"VINYLBETON vereint textlich sehr viel aus der Lebenswelt eines Jörkk Mechenbier mit eben den Dingen, die auch ihm, also mir, zuwider sind und mich umtreiben. Diese Beobachtungsgabe, gepaart mit einer hochgradig künstlerischen Art der unterhaltsamen Verklausulierung komplexer bis besorgniserregender Umstände zeichnet VINYLBETON aus. Zeichnet Drakogiannakis aus. Zeichnet ANGELIKA EXPRESS aus. Zeichnet das neue Album "Letzte Kraft voraus" aus. Der Titel, bei dem ich unweigerlich an einen anderen Großen in der Kunst der humorvollen, pittoresken Schwarzmalerei namens Gisbert zu Knyphausen denken muss, steht 2017 wie kein Anderer für defätistisches "nicht KO gehen", den fatalistischen Wunsch nach Verbesserung und Veränderung und zynisches "nicht zynisch werden". Lasst es euch so sagen, ihr Lifestyleakrobaten: "Wir bauen euch eine Stadt - aus Vinylbeton!" - und dass das "wir" mich mit einschließt, das freut mich ungemein."
Armin
2017-11-15 21:28:38- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
Meinungen?
Hinweiser
2017-10-27 14:31:42
Weil der Kristof Schreuf wie der Sänger von Angelika Express aussieht und umgekehrt (es aber nicht ist!).
matinioh
2017-10-27 14:07:14
Ich dachte, hier gehts um die Merkel :-). Passen würde es ja ...
Loketrourak
2017-10-27 14:04:23
Warum?
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