Gisbert zu Knyphausen - Das Licht dieser Welt

PIAS / Rough Trade
VÖ: 27.10.2017
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Hinter jeder Ecke Hoffnung

An einem wunderschönen "Sommertag" von Freiburg nach Karlsruhe mit offenem Schiebedach, nach einem lauten Streit mit der vermeintlich großen Liebe von der "Flugangst" übermannt buchstäblich davonrennend, weinend auf einer Bank im Regen irgendwo in der Nähe des Elternhauses, das geliebte Hamburg und seine "Kräne" herbeisehnend, mit der nächsten vermeintlich großen Liebe den Kopfhörer geteilt in den Frühling springend als wärs "Das Leichteste der Welt", nach der Trennung an einem verregneten Feiertag "Morsches Holz" als Ursache ausmachend: Gisbert zu Knyphausen hat so viele Szenen des Erwachsenwerdens im Leben des Rezensenten untermalt und treu begleitet. Wie die Kippe im nächtlichen Schneegestöber, das den Rauch in die Unendlichkeit weht und die Glut so wunderbar schimmern lässt, dass man den Glauben an das Schöne nicht verliert. Wie das erste Bier vor einer wilden Nacht, das die trockene Kehle sorgsam umschmiegt und die Angst dem Rausch weichen lässt. Immer da, als Nothelfer jederzeit greifbar, schmerzlindernd und -schürend zugleich, ganz nah am Herzen.

Die letzte Fluppe ist längst ausgedrückt. Das kühle Blonde, es fließt auch immer seltener, aber Gisbert berührt wie eh und je. Es wurde Zeit, es ist schon so lange her: Sage und schreibe fünf Jahre nach Kid Kopphausens "I" und geschlagene sieben Jahre nach "Hurra! Hurra! So nicht." kehrt der wohl liebenswürdigste Adelige dieses seltsamen Landes mit "Das Licht dieser Welt" zurück. Das Leben ist nicht immer einfach und schon lange nicht immer fair. Wenn geliebte Menschen gehen müssen, wenn Verpartnertes getrennt wird, dann ist der Schmerz manchmal zu groß, um ihn fassen zu können. Nach dem Tode Nils Koppruchs lag so vieles in Scherben, für zu Knyphausen war es ein persönlicher Verlust ekelhaftesten Ausmaßes. Er nahm die Füße in die Hand und reiste: nach Russland, in den Nahen Osten, eine ganze Weile verbrachte er in Südfrankreich. Er spielte eine Tour mit der Kid-Kopphausen-Band, begleitete Olli Schulz am Bass, nahm mit Der Dünne Mann und Moses Schneider unter dem Namen Husten eine EP auf. Das dritte Album aus der Feder des Wahlberliners präsentiert sich nach Jahren des Umherwanderns als gefestigt. Es zeugt einerseits von gelungener Trauerarbeit, hält der Endlichkeit den Stinkefinger in die Fratze und erzählt andererseits natürlich wieder diese wunderschönen Geschichten, wie sie nur zu Knyphausen so treffend besingen kann.

So etwa die des alternden Vaters, der in "Sonnige Grüße aus Khao Lak, Thailand" Weihnachten und das Wiedersehen mit seiner Tochter herbeisehnt. Dessen wartende Ohnmacht beobachtend zappt zu Knyphausen ins Fernsehprogramm: Ein Wetten-Dass-Zusammenschnitt läuft, "die Leute drehen durch vor Spaß", singt der Barde lakonisch. Was als Entertainment gedacht ist, untermauert die eigene Sinnlosigkeit. Eine verzerrte Melodika verschiebt die Stimmung jedoch ins Hoffende und lässt das Lied mit einem Lächeln auskehren. Insgesamt fröhlicher in seiner Ausmalung zeigt sich "Unter hellblauem Himmel", das Kranke buchstäblich wieder gehend macht und zudem erstmals auf dem Album die Bläser eingliedert, die in der Folge im musikalischen Sinne charakteristisch für "Das Licht dieser Welt" erscheinen. Neben "Niemand", dem hymnischen Opener, und dem liebevoll ermutigenden Titeltrack, der abermals mit Blasinstrumenten ausleitet, ist es eine der drei Vorauskopplungen der Platte. Der gemeinsame Tenor dieser Tracks: "There is a light that never goes out."

Apropos englische Lyrics: Zweimal auf seinem neuen Album wagt zu Knyphausen den Ausflug ins Fremdsprachige. "Teheran smiles" verwandelt ein konkretes Reiseerlebnis in die Liedform und erinnert dabei ein wenig an Home Of The Lame, "Cigarettes & citylights" zündet sich inmitten glänzender Fassaden den Glimmstängel an und tanzt besseren Zeiten entgegen, verirrt sich im letzten Viertel im musikalisierten Großstadt-Dschungel und findet im gepfiffenen Finale schließlich seinen Frieden. Raus aus der Urbanität drängt indes "Stadt Land Flucht", dessen eskapistische Wirrungen sofort im Herzen landen. Am Meer angekommen verliert zu Knyphausen die Fassung und keift mit den wogenden Wellen seinem Protagonisten entgegen: "Bleibst Du jetzt hier, oder was?" Großartig auch "Keine Zeit zu verlieren", in welchem sich Handclaps dem schwingenden Rhythmus um den Hals werfen und vor allem das Klavier nach vorne drängt, wie in noch keinem Gisbert-Song bis dato. Die Schlussminute wird von feuriger Sehnsucht zerfressen und endet mit einem abrupten musikalischen Aufprall. Dass zu Knyphausen die letzten Jahre nach eigener Aussage auch genutzt hat, um sein Pianospiel zu verbessern, schlägt sich außerdem in den Stücken "Kommen und gehen" wie auch dem Closer "Carla Bruno" nieder. Ersteres lässt nur noch eine Slidegitarre durch die Szenerie schlittern, Zweiteres kommt gänzlich instrumental aus und featured außer den Tasten nur noch eine ferne Oboe.

Der Titel braucht keinen Text, denn zu diesem Zeitpunkt ist auf "Das Licht der Welt" bereits alles gesagt. Mit dem unmittelbar zuvor stattfindenden "Etwas Besseres als den Tod finden wir überall" schafft zu Knyphausen sein songtechnisches Magnum Opus, wenngleich oder eben gerade weil der Song der Feder Koppruchs entstammt, der ihn jedoch unvollendet hinterließ. Schon der Rhythmus weckt dabei Erinnerungen an die Spielarten des ehemaligen Fink-Sängers, man könnte etwa an "Meine Schwester" von Kid Kopphausens "I" denken. In den Versen zu Knyphausens erwächst die Hoffnung zur handfesten Tatsache, die Musik überschlägt sich förmlich, das Schlagzeug kocht hoch, die Trompeten erschallen, Chöre jubeln, der Singer-Songwriter wechselt gar in die Kopfstimme. Am Ende hört man aus der Ferne Koppruch singen, die letzten paar Worte übernimmt er. Wie eine Stimme aus dem Jenseits vollendet er sein Werk und sein Freund Gisbert setzt ihm ein Denkmal, wie es schöner nicht hätte geschehen können. Das Leben ist voller Überraschungen und selbst der schlimmste Schicksalsschlag wird nicht ändern können, dass hinter nächsten Weggabelung womöglich eine neue Perspektive wartet. Gisbert zu Knyphausen hat die Melancholie vergangener Tage abgelegt, die Desorientierung ist einem optimistischen Blick nach vorne gewichen. Eines ist sicher: "Das Licht dieser Welt", es lauert hinter jeder Ecke.

(Pascal Bremmer)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Sonnige Grüße aus Khao Lak, Thailand
  • Keine Zeit zu verlieren
  • Cigarettes & citylights
  • Etwas Besseres als den Tod finden wir überall

Tracklist

  1. Niemand
  2. Sonnige Grüße aus Khao Lak, Thailand
  3. Unter dem hellblauen Himmel
  4. Dich zu lieben ist einfach
  5. Stadt Land Flucht
  6. Keine Zeit zu verlieren
  7. Kommen und gehen
  8. Teheran smiles
  9. Das Licht dieser Welt
  10. Cigarettes & citylights
  11. Etwas Besseres als den Tod finden wir überall
  12. Carla Bruno
Gesamtspielzeit: 48:26 min

Im Forum kommentieren

slowmo

2020-05-17 16:08:21

Habe ja wirklich ein ambivalentes Verhältnis zu dieser Platte, aber dennoch muss ich Sie immer mal hervorholen.

Manchmal schaust du in dich rein wie das Kind in einen Brunn'n und du siehst den Boden nicht
Also wirfst du eine Münze, wartest auf den Aufprall und lachst, ja, du lachst
Du fragst mich, „Kennst du das auch? Man blickt in den Spiegel und denkt, man müsste so vieles sein.“
Es dauert lang, bis man lernt, bis man lernt, ein Niemand zu sein


...alleine dafür. Das geht mir so unfassbar nahe.

Ituri

2018-11-21 11:01:20

Puh, wirklich schwierig das Album. Einzelne große Momente paaren sich diesmal mit einigen belanglosen. Dann diese polarisierenden Momente wie das "hie-hie-hier" in "Unter dem hellblauen Himmel", die ich noch nicht einzuordnen vermag.



Das Debut bleibt unerreicht. Die Ausbrüche in einzelnen Liedern (allen voran "Neues Jahr") sind die, die bei mir beim ersten Hören Gänsehaut erzeugten. Davon war bei "Hurra..." nichts mehr zu spüren (dennoch solide 8/10).

Michael

2018-03-01 23:09:23

Für mich ist "Hurra! Hurra! So nicht" als Album die absolute Nummer 1 (9/10), dicht gefolgt vom Debüt (8/10). Mit dem aktuellen Album kann ich leider nichts mehr anfangen (4/10) - ich hab's echt versucht, aber das passt irgendwie nicht mehr mit Gisbert und mir. Vor allem die Texte vom neuen Album packen mich überhaupt nicht mehr.

KingOfCarrotFlowers

2018-03-01 21:28:27

das debut ist für mich immer noch unangefochten die nummer eins.
so direkt und so ehrlich

The attack of the mole men

2018-03-01 19:46:13

Sympathische Menschen sind mir irgendwie unsympathisch.

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