L.A. Witch - L.A. Witch

Suicide Squeeze / Cargo
VÖ: 08.09.2017
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 10/10
10/10

Nächtliches Dünensurfen

Kalifornien ist seit jeher ein Sehnsuchtsort. 1848 wird bei Coloma das erste Gold gefunden, woraufhin Tausende Glücksritter in der Hoffnung auf schnellen Reichtum alsbald einen legendären Goldrausch auslösen. Kaum 70 Jahre später sorgt die gerade erblühende Filmindustrie dafür, dass der Mythos Kaliforniens weiterhin Menschen fasziniert und dazu motiviert, für den Traum von Geld und Ruhm alles zu riskieren. Und für einige hat es sich bezahlt gemacht. Ob als Goldschürfer oder Filmmagnat, ein paar Glückliche gaben und geben noch heute den Verheißungen des Golden State ein Gesicht und halten somit den Reiz und die Anziehungskraft dieses Ortes am Leben. Doch wo es Gewinner gibt, entstehen zwangsläufig auch Verlierer. Kaum vorstellbar, wie viele zerstörte Träume und zerschmetterte Schicksale sich an den Bars der kleinen und schmutzigen Nachtclubs des Landes sammeln müssen, die ihre Wände nicht voller Stolz mit Bildern samt Widmung berühmter Besucher behängen, sondern deren Charme eher auf billigem Alkohol, Verdrossenheit und surrender Neonreklame basiert. Auf der Bühne einer solchen Bar, in der es trotz der Abkühlung, die die Nacht bringt, immer noch viel zu warm und stickig ist, könnten die drei Damen stehen, die als L.A. Witch ihren Soundtrack für den amerikanischen Albtraum präsentieren.

Das selbstbetitelte Debüt des Trios aus Los Angeles inhaliert die Frustration und Resignation der Erfolglosen und atmet einen Sound aus, der in seiner Coolness und Abgeklärtheit kalifornischer nicht sein könnte. Wenn zu Beginn des Albums Sängerin und Gitarristin Sade Sanchez in bedrohlicher Kühle ankündigt "I'm gonna hurt my baby tonight", während Drums und Bass einen psychedelischen Groove erschaffen, dessen Nebel die Gitarre immer wieder punktuell durchstößt, läuft es einem kalt den Rücken runter. Nummern wie "Untitled" oder "Good guys" klingen durch höheres Tempo, Ohrwurmhooks und nicht zuletzt aufgrund des Gitarrensounds beinahe wie Surfrock – allerdings so, als ließe es sich dazu am besten nachts surfen, im Wüstensand. Besonders an "L.A. Witch" ist die einnehmende Atmosphäre, die das Album schafft. So mancher Song würde sich sicher auf einem Tarantino-Soundtrack wohlfühlen. Das Album kommt stellenweise sehr motzig daher, aber nie wütend. Die drei Frauen klingen wie eine Band, die erst aus ihrem Versteck kommt, wenn die Sonne untergegangen ist und alle coolen Surfertypen längst zu Hause sind. Für all die umherstreunenden Seelen, die sich zu später Stunde in irgendeiner abgeranzten Bar einfinden, spielen L.A. Witch dann ihren kühlen Gegenentwurf zu der hedonistischen Popmusik der 60er, die seit jeher die musikalische Visitenkarte des Landes ist und in deren Texten und Klang sich selten Platz für die Schattenseiten des Lebens fand.

Der Sound von "L.A. Witch" erinnert an eine kühle Brise in der nächtlichen Wüste. Erfrischend und wohltuend, trotz des Sandes, der unvermeidlich jede Körperöffnung erobert und zwischen den Zähnen knirscht. Nicht allzu oft bricht die Band aus dem Schema verträumter, grooviger und melodiegetragener Stücke aus. Und wenn doch, wie im flotteren "Drive your car", dann wirken sie ein wenig wie eine Surfrockband, die noch nie das Meer gesehen hat: extrem lässig, aber auch latent aggressiv. Grundsätzlich klingen L.A. Witch zwar wie eine Garage-Band, es schleichen sich aber besonders über die Bassgrooves auch psychedelische Elemente ein, während die Gitarre an vielen Stellen Surfrock-Elemente einstreut. Einen besonderen Anteil zu der Atmosphäre des Albums leistet auch der Gesang: So cool, dass sie beinahe gelangweilt klingt, trägt Sade Sanchez die Songs vor. In melodiöseren Passagen erinnert ihre Stimme dagegen beinahe an Grace Slick, wobei Sanchez nicht ganz so voluminös klingt. Trotz des kühlen, stellenweise etwas trägen Vibes des Albums klingt "L.A. Witch" definitiv sehr interessant. Nach Kalifornien, nach Sehnsucht, Hoffnung und verheißungsvoller Weite.

(Christopher Padraig ó Murchadha)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Untitled
  • Drive your car
  • Good guys

Tracklist

  1. Kill my baby tonight
  2. Brian
  3. Untitled
  4. You love nothing
  5. Drive your car
  6. Baby in blue jeans
  7. Feel alright
  8. Good guys
  9. Get lost
Gesamtspielzeit: 31:57 min

Im Forum kommentieren

retro

2017-10-24 18:22:24

geil. von der beschreibung her musste mir das fast gefallen, in wahrheit hört es sich aber noch deutlich besser an als erwartet.

tjsifi

2017-10-19 09:28:45

Musste sofort an Tarantino denken. Interessantes Album.

Armin

2017-10-18 22:26:39- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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