Susanne Sundfør - Music for people in trouble

Bella Union / [PIAS] Cooperative / Rough Trade
VÖ: 25.08.2017
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Mensch, leide doch nicht

In einer überlieferten Geschichte über Susanne Sundfør saß sie vor einiger Zeit verdutzt am Klavier. Nicht irgendwo, sondern im so merkwürdigen Nordkorea war das, beim Besuch eines Museums. Die Fremdenführerin hatte sie aufgefordert etwas vorzuspielen. Sundfør fühlte sich unbehaglich, stimmte allerdings "Walls" an, was im Drumherum umso absurder wirkte, schließlich heißt es dort "'Cause these walls are killing me", auch wenn nicht Grenzmauern, dafür die Mauern, die wir alle in uns drin hochziehen, gemeint sind. In Nordkorea reagierte niemand so recht beeindruckt. Was nun erklären könnte, weshalb "Music for people in trouble" umso ambitionierter geraten ist, gewollt beeindrucken und überwältigen soll.

Dass sich Sundfør auf eine transkontinentale Ochsentour begab, bis tief in den Regenwald, spiegelt sich ein wenig im Eklektizismus dieses Albums. Das Unstete, aufgesaugt wie alle Lebenserfahrungen, die vorzufinden waren, von den andersartigen Orten mit kaum berührten Kulturen, den unbekannten Sitten über alte Bräuche – alles floss ein. Dafür wurde Ballast zurückgelassen: "Mantra" und "Reincarnation" schälen sich aus allem, was das Vorgängerwerk "Ten love songs" ausmachte, das gleichsam von Kritikern und Publikum geschätzt wurde und Sundfør erst den internationalen Durchbruch ermöglichte. Das zahme Diskoschillern in diesem Synthpop, überhaupt alles fernab Gitarre und Klavier wurde radikal entschlackt. Diese Songs meditieren vor sich hin, sind minimal getupft und gehaucht, was sie umso bitterlicher, schmerzschneidender werden lässt.

Hier wird Sundfør nahbar, sie zieht an sich, unmittelbar, bis hin zu einer unangenehmen, weil unvertrauten Intimität, in der diese politische Künstlerin ihre Besorgnisse teilt. Naturbilder beschreiben die Schieflage der Welt; fürs eindrückliche Desaster schockiert ein abstürzendes Flugzeug. Tolstoi darf umgeschrieben werden, denn alle leidenden Menschen leiden nunmal auf ihre eigene Art, weshalb Sundfør versucht, eine universelle Abhilfe zu erschaffen, die schaurig, fein, zart, seltsam und abstrus aufwartet. Mehr als Momente des Bruchs interessieren die Norwegerin die Trümmer und ihre Folgen, also nicht die impulsiven Gefühle, sondern die anhaltenden. Dabei vollzieht das Album selbst den Bruch, denn bevor hier eine Künstlerin Anteil nimmt, kommen infernalische Drohnen in "The sound of war" vor, mit einem verworrenen Spoken-Word-Part im Titelsong.

Danach entzieht sich Sundfør dieser Welt, ist ihr metaphysisch gedankenverloren fern. Sie erhebt sich, wie auf eine Kanzel, von der sie sakrosant hinab singt. Der Kontrast könnte nicht deutlicher sein. "Undercover", "The golden age" und "Mountaineers", in letzterem grummelt John Grant ganz vertechnisiert-wabernd, sind großer Pathos und Kirchenchor. Und damit eher fern als nah. "No one believes in love anymore" ist dabei ein von Synthesizern verehrtes "Ave Maria". Sundfør, die zuvor noch davon singt, eine Liebe als Bäumchen zu pflanzen, dieses ebenso zu behüten und zu pflegen, rupft das Pflänzchen mit Mitteln der Überwältigung. Das erst Intime, dann Kammerpoppige wächst in eine Größe, die keine Kammern dieser Welt umfassen könnte.

Sundfør schmettert dabei, ihre Stimme entfaltet alle Gewalt. Im sanften "Bedtime story", in dem sie sich eher zurücknimmt, fasziniert das, wirkt wie die Ruhe vorm Stürmischen. Enthemmt lässt eine solche Wucht kalt. Das erinnert ein wenig an Adele. Die Finesse fällt dabei anheim. Der ganze Optimismus, den die Menschen, an die sich diese Musik richten soll, bitter nötig hätten, kommt erst nicht auf, dann löst sich dessen Ansatz in einer merkwürdigen Situation auf, die sich anfühlt, als stünde man alleine für einige Stunden im Petersdom. Das beeindruckt, berührt auch ein wenig, aber auf Dauer ist es auch dort ziemlich, ziemlich kalt.

(Maximilian Ginter)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Mantra
  • Bedtime story
  • No one believes in love anymore

Tracklist

  1. Mantra
  2. Reincarnation
  3. Good luck bad luck
  4. The sound of war
  5. Music for people in trouble
  6. Bedtime story
  7. Undercover
  8. No one believes in love anymore
  9. The golden age
  10. Mountaineers
Gesamtspielzeit: 44:43 min

Im Forum kommentieren

Norg

2017-09-25 16:11:22

Eine Ausnahmeerscheinung!

Armin

2017-09-20 21:18:09- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?

Felix H

2017-07-25 10:05:03- Newsbeitrag



Toll!

Armin

2017-06-08 22:48:41


SUSANNE SUNDFØR

2007 veröffentlichte Susanne Sundfør ihr Debütalbum. Daraufhin folgten 5 weitere Alben, 3 davon landeten auf Nummer 1 der norwegischen Charts, ein Auftritt bei der Nobelpreisverleihung, zahlreiche norwegische Musikpreise und Kollaborationen mit M83 und Röyksopp.
Am 25.08. erscheint nun ihr neues Album “Music for People In Trouble” via Bella Union.
Auf ausgedehnten Reisen von Nordkorea bis zum Amazonas versuchte die norwegische Singer-Songwriterin neue Kraft und ihre innere Mitte zu finden. Inspiriert von den kulturellen wie politischen Gegensätzlichkeiten der Kontinente entstand mit “Music for People In Trouble” das bis dato ergreifendste und persönlichste Album der norwegischen Musikgröße. Mit der Albumankündigung gibt es gleichzeitig die erste Single “Undercover” aus dem Album zu hören.

Im September wird Susanne Sundfør ihr Album hierzulande live präsentieren:
16.09. Köln - Artheater
20.09. Berlin - Silent Green

Felix H

2017-06-07 08:39:56- Newsbeitrag

Album am 25.8., hier noch mal mit Newsbeitrag:

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