Cold Specks - Fool's paradise

Arts & Crafts / Rough Trade
VÖ: 22.09.2017
Unsere Bewertung: 6/10
6/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Nachholen, aufholen

Das Versteckspiel ist vorbei, auch das Alias des Alias gefallen. Noch zu Zeiten ihres Debütalbums "I predict a graceful expulsion" gab sich Cold Specks zusätzlich zum Künsternamen das Moniker Al Spx, ein Sicherheitsnetz, welches sie nach Innen und Außen abschirmen sollte. Damit ihre Familie weiter stolz auf die angestoßene Justiz-Laufbahn bleiben konnte, ohne von ihrem Künstlerdasein zu erfahren und die Sängerin selbst für sich hoffte, durch das identitäre Pseudonym Barrieren beim Einstieg ins Musikbusiness zu umgehen. Mit ihrem Familiennamen, sagt die in Toronto wohnhafte Sängerin in der Retrospektive, habe sie sich unwohl gefühlt, war in Sorge, auf Skepsis und Ablehnung zu stoßen.

Mit der Erkenntnis, dass psychische Taschenspieler-Tricks mit dem eigenen Ich am allerwenigsten funktionieren und der Erfahrung von zwei teils beklemmenden und in jedem Fall sinistren Dark- und Doom-Soul-Platten findet Cold Specks 2017 am Ende der Talsohle Zuspruch in der jüngsten Verzweigung ihres Stammbaums. Und so dürfen wir Al Spx streichen – und Ladan Hussein begrüßen. "Fool's paradise" ist eine Auseinandersetzung der kanadischen Sängerin mit ihren somalischen Wurzeln, ein Eintauchen in die vom Krieg zerstörte Heimat ihrer Eltern und der Versuch, unter der Asche und dem Schutt ein bisschen Sand und Paradies hervorzukramen.

Und so klingt Cold Specks auf ihrem dritten Album zwar nachdenklich und bedrückt, bietet aber auch wärmende Melancholie in ihrer Stimme und wirkt insgesamt weniger klaustrophob als auf "Neuroplasticity". Oft trennen die expressiven Aggregatzustände nur Nuancen. Dafür fliegen einem keine Orgeln mehr entgegen, ragt auch kein angebluester Rock mehr aus den Ecken, und von Mark Lanegan oder Swans' Michael Gira fehlt jedweder Fußabdruck. Dahingehend ernüchtern die ersten Hördurchgänge, einzig im finalen "Exile" scheint sich eine memorable Melodie um den federnden, schnappenden Off-Beat zu wickeln. Das entpuppt sich aber nur als Teil der Wahrheit. Cold Specks arrangiert sozusagen introvertierte Tracks und gestaltet "Fool's paradise" minimalistisch. Ohne Ausfälle, aber auch weniger mitreißend als erhofft – und zuvorderst: anders als erwartet.

Es ertönen alte analoge Synthesizer sowie elektronische Klänge, sie schlängeln sich mit dem Staub der Jahrzehnte durch die TripHop-Spuren von "Ancient habits". Bis auf vereinzelte Bassläufe präferiert die Kanadierin ein schlankes rhythmisches Gerüst; das tolle "Rupture" ergibt sich gar vollends den programmierten Beats aus der Drum Machine. Für diese Platte musste niemand lange hinter dem Schlagzeug Platz nehmen. Am stärksten spürt Husseins musikalische Transformation zum Electro-Soul wohl "Void", dessen dröhnender Nachhall und wattierte industrielle Widerhaken wohl auf "Neuroplasticity" ihre Umsetzung in Noise oder Gitarren-Licks gefunden hätten. Auf "Fool's paradise" nun singt Hussein im Opener erstmals auf Somali eine Passage über die Differenziertheit von Körper und Seele und schließt ihr Werk mit einem ebenfalls in der elterlichen Landessprache vorgetragenen Gebet für ihre Mutter. Wenn Einholen schon nicht klappt, dann wenigstens Nachholen, so gut es geht.

(Stephan Müller)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Fool's paradise
  • Rupture
  • Void
  • Exile

Tracklist

  1. Fool's paradise
  2. Wild card
  3. Solid
  4. Ancient habits
  5. Rupture
  6. Void
  7. New moon
  8. Two worlds
  9. Witness
  10. Exile
Gesamtspielzeit: 36:42 min

Im Forum kommentieren

cargo

2017-09-22 15:08:28

Puhhh... Das Album ist ziemlich langweilig geworden. Schon eine große Enttäuschung, wenn man die vorangegangene Entwicklung betrachtet.

Armin

2017-09-20 21:14:41- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?

Armin

2017-08-30 19:44:19

Ja, schön geworden.

Randwer

2017-08-30 19:36:33

Von den neuen Songs sagt mir New Moon am meisten zu.

Armin

2017-08-30 19:09:19- Newsbeitrag

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