Gogol Bordello - Seekers and finders
Cooking Vinyl / SonyVÖ: 25.08.2017
Das Fremde in Dir
Identität entsteht ja oft in Abgrenzung zu anderen. Zum Beispiel zu Osteuropa. Zwar würde jeder die Grenzen dieser Weltgegend auf der Landkarte anders ziehen, die fiesen Klischees, die mit dem Wort "Osten" verbunden sind, bleiben die gleichen: Wo im Westen Europas Ordnung, Planung und Manieren herrschen, regieren im Osten Chaos, Improvisation und Grobheit. Gogol Bordello, eine Band, die bekanntlich viel osteuropäisches Blut in ihren Adern hat, aber aus New York stammt und deren Zuhörer sich ebenfalls überwiegend dem sogenannten Westen zugehörig fühlen, bedienen diese Stereotype ausgiebig und gerne. Dazu haben sie ihren unverwechselbaren Stil entwickelt, der immer ein bisschen nach einer außer Kontrolle geratener Dorfhochzeit + Bassgitarre klingt.
In der Musik haben sich genau wie in der Kunst oder Literatur die Vorstellungen über den "Osten" so verfestigt, dass sie einen ziemlich unerschütterlichen Komplex bilden. Die anderen sind zwar fremd, aber auf bekannte Art und Weise. Das exotische Element, das Gogol Bordello in ihren Punk einfließen lassen, klingt auf ihrem achten Studioalbum "Seekers and finders" ebenfalls schon altvertraut. Die Band feiert auf diesem Werk ihren eigenen Sound in Perfektion: dicht, feierwütig, unnachgiebig. Eine ganze Reihe von Liedern hat das Potenzial, die Hochzeitsgesellschaft zur Eskalation zu bringen: Vor allem "Did it all", "Sabateur blues" und "Break into your higher self" bieten sich zum aggressiven Abdancen an. Imagination spielt dabei, wie bei osteuropäischen Stereotypen allgemein, eine wichtigere Rolle als ethnologische Akribie: Mit der Folklore der Ukrainer oder der Sinti und Roma hat diese Musik nicht sehr viel mehr gemein als den Einsatz von Fiedel und Akkordeon.
Dafür kommen eine ganze Reihe anderer Einflüsse nahezu unbemerkt in den explosiven Mix. Bei "Familia Bonfireball" wähnt man sich in einem Western-Soundtrack, "You know who we are" erweitert die geographische Reichweite der Platte um Hawaii (Ukulele), Jamaica (Reggae-Orgel) und den Nahen Osten (orientalische Skalen). In "If I ever get home before dark" verlässt die Band vertraute Gewässer und wird fast experimentell: Den Gesang begleiten nur spärliche und ständig wechselnde instrumentale Einwürfe. Ein besonderes Highlight der Platte ist der Gastauftritt von Regina Spektor im Titeltrack "Seekers and finders". Spektors präzise Stimme harmoniert trotz des starken Kontrastes mit dem bewusst intonationsbefreiten Gesang von Gogol-Bordello-Frontmann Eugene Hütz. Das Bedienen von Klischees täuscht hier also klare Grenzen und Fremdheit nur vor: Wenn man genau hinhört, ist alles längst verwischt, gemischt und kombiniert. Ganz schon gewieft, diese Osteuropäer.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Seekers and finders
- Saboteur blues
- If I ever get home before dark
Tracklist
- Did it all
- Walking on the burning coal
- Break into your higher self
- Seekers and finders
- Familia Bonfireball
- Clearvoyance
- Saboteur blues
- Love gangsters
- If I ever get home before dark
- You know who we are (Uprooted funk)
- Still that way
Referenzen
Spotify
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