EMA - Exile in the outer ring

City Slang / Universal
VÖ: 25.08.2017
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Die Empathin

Heute aus der Reihe "Wörter, die wir auf Plattentests.de vermisst haben": Stadtranderholung. Heißt in etwa: Wegen leerer Urlaubskasse die Ferien in einer städtischen Jugendeinrichtung zubringen, wo man dann unter Aufsicht mehr oder weniger lustige Spiele spielen darf. Erika M. Anderson dagegen will schon lange nicht mehr spielen, wie man seit den gepeinigten Noise-Klagen von "Past life martyred saints" oder dem virtuellen Realitätsdrama "The future's void" weiß. Nicht mit ihren Gefühlen, nicht mit ihrer Präsenz im Internet, und auch bei ihrem USA-Bild versteht die 35-Jährige keinen Spaß. Ihr "Exile in the outer ring" ist kein sommerlicher Ringelpiez, sondern ein Sammelbecken für die durch zunehmende Gentrifizierung in die Peripherie verdrängten "sozial Schwachen". Für die Amerikanerin weitaus mehr als eine Randnotiz.

Ihr drittes Album als EMA verhandelt mit Songs wie dem trocken pumpenden Groover "Down and out" eigene Befindlichkeiten nämlich genauso wie die der perspektivlosen Bevölkerungsschicht – selbst wenn sich diese oft nur mit Applaus für Donald Trump oder wirrem Alltagsrassismus zu helfen weiß. Die Stärke von "Exile in the outer ring" liegt also nicht nur in der zwischen Sandpapier-Folk, unbeugsamem Indie-Rock und elektrifizierten Industrial-Knirschereien taumelnden Soundkulisse, sondern auch in einer Empathie, die man hinter dieser gebrochenen Aggression nicht unbedingt vermuten würde. Da wird das aus allen Lärmrohren feuernde "33 nihilistic and female" von der Selbstreflexion zur Kampfansage, und der mächtige Elektro-Boogie "Fire water air LSD" erörtert kreischend gesellschaftliche Schieflagen. "I wanna destroy"? Zweifelsohne.

Und es tut der Wucht von "Exile in the outer ring" keinerlei Abbruch, wenn Anderson sich vor allem zu Anfang diverse Rückgriffe erlaubt: Der grobkörninge Lo-Fi-Auftakt "7 years" verweist ähnlich wie der ächzende Gewaltmarsch "Breathalyzer" auf die Moritaten von "Past life martyred saints" – Letzterer vor allem auf das schillernde Rauschen von "California", wenn die Distortion immer höhere Wellen schlägt und ein Geräusch-Epos monströsen Ausmaßes zementiert. Auch die gereizt knurrende Gitarre von "Aryan nation" übt sich nur eingangs in Zurückhaltung, bevor in jeder Studioecke plötzlich wildgewordene Drum-Machines zu stehen scheinen und die Stimme sich vor Empörung über reaktionäre Figuren im Kulturbetrieb – nennen wir sie einfach Männer – förmlich überschlägt. Ein Song, den Courtney Love vermutlich nie so stichhaltig hinbekommen hätte.

Dass Akustikgitarren und spitzfindiges Riffing in diesem planvollen Getöse zuweilen unterzugehen drohen und der Begriff Folk relativ ist, liegt dabei in der Natur der Sache – trotzdem sind auch Andersons Anfänge beim minimalistischen Drone-Duo Gowns immer wieder wie eine Art physischer Groll spürbar. Ein wenig zur Ruhe kehrt allenfalls gegen Ende ein, und mit "Always bleeds" sitzt sogar ein versponnenes Stück Synthie-Pop drin, das dem Achtziger-Hit "Doot doot" vom Underworld-Vorläufer Freur listig in den Hintern piekst. Keine üble Beschreibungsebene für die musikalischen und inhaltlichen Alarmzustände, die "Exile in the outer ring" praktisch dauernd aussendet. Auch Koproduzent Jacob Portrait von Unknown Mortal Orchestra sieht ganz geschafft aus: Dieses fantastische Album dürfte sein schrecklich schönstes Ferienerlebnis gewesen sein.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Breathalyzer
  • Down and out
  • Fire water air LSD
  • Aryan nation

Tracklist

  1. 7 years
  2. Breathalyzer
  3. I wanna destroy
  4. Blood and chalk
  5. Down and out
  6. Fire water air LSD
  7. Aryan nation
  8. 33 nihilistic and female
  9. Receive love
  10. Always bleeds
  11. Where the darkness began
Gesamtspielzeit: 41:08 min

Im Forum kommentieren

Felix H

2017-11-01 14:16:59- Newsbeitrag

dead celebrity

2017-09-18 13:55:05

Für mich sind das alles 8/10 , dazu nur : 10/10 vergebe ich eigentlich nie , nur ein paar Lieblings Alben kriegen die höchste wertung.

Favorit wäre bei mir PLMS, aber die FV nur knapp dahinter, wie die neue dazu steht , da müssen ein paar Wochen ins Land gehen

ein Nichts ein Niemand

2017-09-18 10:45:02

Mich würde interessieren, wie ihr die 3 bisherigen Solo-Alben im Vergleich seht (gerne auch nur kurz mit Wertungen)

UndercoverBrother

2017-09-18 10:04:02

@humbert humbert

bin bei meinen musik affinen freunden auch immer wieder überrascht wie wenig leute die kennen, aber insgesamt ist die publicity für sie schon relativ groß, in den meisten großen magazinen/ online seiten bekam ihr album reviews und eigentlcih auch nur gute.

hab die platte endlich auf einer längeren autofahrt endlich durchhören können und bin auch mal wieder mitgerissen, kein schwacher track dabei.

muss mir die unbedingt noch mal live geben, hab sie vor 2 jahren in berlin verpasst, weil ich alleine nicht zum konzert wollte, tickets waren nur 14 euro. super dämlich von mir, nächstes mal geh ich lieber allein.

humbert humbert

2017-09-17 19:35:19

Für mich einer der besten Scheiben von diesem Jahr. Findet ja jetzt hier nicht so viel Anklang.

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