Everything Everything - A fever dream
RCA / SonyVÖ: 18.08.2017
Königliches Drama
Man möchte Eyerything Everything, die sich einst nach den ersten beiden Worten eines Radiohead-Klassikers benannt haben, bei allen zurecht erteilten Lorbeeren eine prophetische Begabung nicht ernsthaft zusprechen. Zum Jahreswechsel 2014 jedoch schrieb die Truppe "No reptiles"; und es sind vor allem Jonathan Higgs' prägnante Zeilen "I'm going to kill a stranger", die angesichts zahlreicher religiös motivierter Terrorattacken in Europa seit ebenjenem Song intensiver denn je nachhallen. Es sei "irgendwo die Pflicht eines Künstlers, die Probleme einer Gesellschaft anzusprechen", gibt Higgs zu Protokoll. Auf besonders bemerkenswerte Art und Weise tun dies Everything Everything, mochten die ernsten Themen ihrer Stücke doch so gar nicht zu dem euphorischen Weirdo-Tanz-Pop passen, welcher zumindest eine Facette ihres musikalischen Schaffens ausmacht.
Ein neues Bühnenoutfit hat sich das Quartett auch gegönnt, wie zu jeder Platte. Mutmaßlich jedoch werden die orange-gelben Anzüge der letzten Tour wohl kaum zu toppen sein. "Ich wollte politische Entwicklungen der Welt überspitzen, wie ein Diktator wirken", erklärt der Frontmann. Nunja. Bei aller Qualität des musikalischen Outputs fragte man sich, ob die Briten nicht ein wenig zu ambitioniert zuwerke gingen. Künstlerische Ambition bedeutete bei Everything Everything jedoch nie ausladende Verkopftheit im Songwriting. Erneut ist es die markante Mélange aus Euphorie und Atmosphäre, zwischen Foals auf LSD und Alt-J auf Valium, die auch íhr viertes Album "A fever dream" prägt.
Im Sound-Vergleich zu den großartigen Vorgängern "Get to Heaven" und "Arc" erwarten den Hörer also keine allzu großen Neuerungen, allerdings hält Higgs "A fever dream" inhaltlich ein wenig offener, sticht mit seinen Lyrics nicht immer mit dem offenen Messer in die Wunden. Doch lässt die Vorab-Auskopplung "Can't do" erahnen, dass Higgs & Co. die Sache mit dem Radio-Airplay auf allen Kanälen nun so richtig wissen wollen. Das Stück kommt auf gewohnt flottem Beat daher, durch die zackigen Drums mogelt sich alsbald eine markante Keyboard-Line hin zum überschwänglichen Refrain, zu dem Higgs mit kopfigster Kopfstimme "Help me / Can't do the thing you want" zu hadern pflegt, und dann doch entspannt Vertrauen in die Sache gewinnt: "It's up to me / I've gotta try it again."
Das tun Everything Everything umgehend und hauen mit "Desire" den nächsten unverschämt eingängigen Popsong heraus, hauptsächlich errichtet auf einem 80s-Wave-Teppich und mit zuckrigem Stadion-Chorus garniert. Wem das alles etwas dick aufgetragen erscheint, bringt einen berechtigten Einwand hervor – sollte solch versierte Dramatiker wie Everything Everything aber natürlich nicht abschreiben. Der Opener "Night of the long knives" ist aus anderem Material geschnitzt, baut intensive Spannung auf und überrascht mit Synthie-Walze und tiefgestimmten Gitarren im Refrain. Unerwartet auch kommt "Big game" daher, ein leicht verschrobenes, im Tempo gedrosseltes Stück, das eine verstörend-neblige Atmosphäre kreiert, bevor ein Blues-Rock-Riff diese pulverisiert. Songs wie das intime "Put me together" und der wabernd-fluffige Titelsong bringen Everything Everythings Vorliebe für Thom Yorkes Songwriting besonders offensiv zutage. "A fever dream" aber ist gleichzeitig Zeugnis für das Talent des Vierers aus Manchester, den hypnotisierenden Sog von Ambient- und Electronica-Elementen für die Dramaturgie ihrer Kompositionen zu nutzen. Auch die Produktion von James Ford (Arctic Monkeys, Depeche Mode) trägt in diesen Momenten ihre Früchte.
Wer sich fragt, wo die großartigen Refrains bleiben, die einem regelmäßig das Grinsen zementieren, den enttäuscht "A fever dream" nicht. Selbst wenn die Harmonien vielleicht nicht ganz so zauberhaft und nachhaltig daherkommen wie einst, tun sich hier vor allem das nachdenkliche "Good shot good soldier", "Ivory tower" als hektischer Popsong und der Ohrwurm "Run the numbers" hervor. Letzteres Stück darf dabei auch die Gitarren mal wieder ein bisschen quietschen lassen. Dies zwar kann Higgs' Stimme immer noch ein bisschen besser, allerdings mag man bei der feinen Mixtour aus Indie-Rock, R'n'B, Ambient und Electronica, die Everything Everything mit all der ihnen innewohnenden Konsequenz zu einem erneut kohärenten, königlichen Drama verarbeiten, rein gar nichts missen. Höchstens hellseherische Fähigkeiten. Doch das ist in diesen Zeiten weiß Gott zu verschmerzen.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Night of the long knives
- Good shot good soldier
- Run the numbers
- A fever dream
Tracklist
- Night of the long knives
- Can't do
- Desire
- Big game
- Good shot good soldier
- Run the numbers
- Put me togehter
- A fever dream
- Ivory tower
- New deep
- White whale
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hideout
2019-08-19 11:19:47
1.Night of the long knives 8/10
2.Can't do 8/10
3.Desire 4/10
4.Big game 6/10
5.Good shot good soldier 7/10
6.Run the numbers 5/10
7.Put me togehter 5/10
8.A fever dream 7/10
9.Ivory tower 5/10
10.New deep 4/10
11.White whale 6/10
Die ersten beiden Songs des Albums sind die einzigen, die das gewohnte EE-Niveau erreichen, mit Abstrichen noch "Good shot...". Der Rest ist ziemlich enttäuschendes Mittelmass und im Falle von "Desire" sogar nervtötend dazu. Für mich mit Abstand ihre schwächste Platte und auch die wenigst gehörte. Kein Vergleich zum grossartigen Vorgänger samt seinen hervorragenden Bonussongs. 6/10
Vennart
2019-08-11 23:35:53
Ist meiner Meinung nach ihr schwächstes aber immer noch gut. Aber zum ersten Mal gibt es hier sowas wie Füller. Bis auf den Hammeropener höre ich das auch viel seltener als die anderen drei Alben.
hideout
2019-08-11 18:29:00
Und das Debüt "Man alive", allein schon wegen "Suffragette, suffragette" und dem Bonus "Wizard talk" (der kleine Bruder von "No reptiles" ;-)
https://www.youtube.com/watch?v=WFM_kTAYVsU
The MACHINA of God
2019-08-11 17:37:39
Oh, dann schnapp dir schnell die 2 Vorgänger. Die sind nämlich klasse.
Watchful_Eye
2019-08-11 17:37:02
Sehr gut :) ist aber auch mein bisher einziges Album der Band.
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