Tyler, The Creator - Flower boy
Columbia / SonyVÖ: 21.07.2017
Sei Du selbst
"Scum fuck is sometimes used as a derogatory term, but most scum fucks are proud to be scum fucks," erklärt das Urban dictionary, das wie so oft eine unterhaltsame Umschreibung einer Nicht-Oxford-Englisch-Begrifflichkeit liefert. Auf dem Cover des neuen Albums von Tyler, The Creator mit dem klangvollen Namen "Flower boy" findet sich nicht etwa sein Pseudonym, stattdessen steht "Scum fuck" anstelle des Künstlers über dem Albumtitel. Der Rapper setzt sich also gleich mit einem obdachlosen, dauerbesoffenen herumpöbelnden Arschloch – und ist auch noch stolz darauf? Nicht wirklich. Viel mehr fühlt sich der Zahnlückenträger dessen bezichtigt. Oft wusste sich der Rapper aus L.A. in der Tat nicht zu benehmen. Die Homophobie-Debatte in den USA wurde in den letzten Jahren auch auf den Schultern seiner oft, nun ja unreifen, Lyrics ausgetragen. Als etwa Sara Quin von Tegan And Sara seine Sprüche anmahnte, bot er ihr seinen harten Schwanz an. Kann man machen. Ärgerlich wird das nur dann, wenn man der eigenen Kinderkacke entwächst. Und genau da kommt "Flower boy" ins Spiel.
Tyler, The Creator genießt den Ruf eines Ausnahmetalents, aber genauso den des Enfant terribles. Skills wie Kendrick, Hirn wie Kanye oder so. Daher kann man auch auf "Flower boy" keine große Politik erwarten, dafür aber einen jungen Mann, der sich in einem Potpourri der Reminiszenzen dem stellt, was ihn ängstigt: der Isolation, der negierten Erwiderung einer Liebe, dem Unverständnis der Leute. Und so ist die Platte auch ein Geständnis. Während der Rapper auf "Cherry bomb" noch wortwörtliche Wichs-Arien musikalisierte, erlebt er in "Garden shed" ein sexuelles Erwachen der nicht-manuellen Sorte. "Don't kill a rose / Before it could bloom / Fly, baby, fly / Out the cocoon", gibt Sängerin Estelle im Refrain zum Besten, während Tasten und Saiten sexy durch den Background flirren. Die fies durch das Effektgerät gejagte Elektrische vor dem letzten Song-Drittel und Tylers erneuter Einsatz nach dem Instrumental sind zudem vielleicht das Interessanteste, was der Mützen-Aficionado je zustande gebracht hat. Das bipolare "Glitter", welches zunächst auf satte Handclaps setzt, dann aber die Geschwindigkeit drosselt und abermals smoothe Gitarren eingliedert, erklärt ähnlich umschreibend wie zuvor angesprochenes Stück, was im Herzen des US-Amerikaners stattfindet: "You light my firework, I feel like glitter." Und wenn jene Schose doch in der Hose vorsichgeht, so zwinkert Tylers Anaconda wohl verführerischer denn je.
Den Kniff, auch mal die Musik für sich stehen zu lassen, nutzt der Rapper häufiger auf "Flower boy": "Who dat boy" braucht fast eine Minute, um seine Szenerie zwischen Sirenen und Drones aufzufahren. Feature-Gast A$AP Rocky und Tyler zerstören selbige unumwunden. Es wird gehustlet und das bockt. Man könnte hier an die letzten Werke von The Game denken, die voller dosiert aggressiver Wucht ins Ohr klatschten und der ja auch einer ist, der eine Entwicklung zum Positiven durchmachte. "Pothole" ist ein ähnlicher, wenngleich gediegenerer Kracher, der mit der Unterstützung Jaden Smiths sowie angenehm wirrer Melodica-Töne und funkigen Anschlägen sämtliche Schlaglöcher umkurven kann. Auch hier könnte man jetzt Programmatisches reininterpretieren. "911 / Mr. Lonely" eignet sich da aber viel besser: "Call me some time", bittet der Rapper nicht etwa eine Geliebte, sondern den Mitarbeiter der Notrufzentrale. Der Trap-Breakbeat macht dazu wunderbare Faxen, Frank Ocean und Steve Lacy komplettieren das einsame Trio. "I ain't got time" steht dem entgegen, denn Tyler ziemt sich, das Alleinsein aufzugeben: "I ain't got time for these niggas", heißt es da, während der Beat die Klatscher von 50 Cents "Candy shop" entwendet und immer dann Platz macht, wenn der Rapper einsetzt, um dem Nächsten abzusagen.
Tyler, The Creator zeigt auf "Flower boy" viele Gesichter. Und die schönste Erkenntnis dabei ist, dass er eben eine solch ausführliche Palette an Facetten auffahren kann. Dazu ist das Album von einer überbordenden Ehrlichkeit gekennzeichnet, nicht aber im Sinne eines konfrontativen Charakteristikums, sondern eines reflexiven Umgangs mit der eigenen Person. Tyler entschuldigt sich nicht, aber er schlägt eine andere Richtung ein, nämlich den Weg, er selbst zu sein, fernab von Gepöbel, aber auch nicht im Sinne einer peinlichen Authentizitäts-Offensive, nahbar genug, um glaubhaft zu sein. Im Piano-Balladen-Bastard "Where this flower blooms" erklärt er ganz einfach: "Tell these black kids they can be who they are." Und so wird Tyler, The Creator endlich zu dem Künstler, der er immer sein wollte – und dem, der er immer sein sollte.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Where this flower blooms (feat. Frank Ocean)
- Who dat boy (feat. A$AP Rocky)
- Garden shed (feat. Estelle)
- 911 / Mr. Lonely (feat. Frank Ocean & Steve Lacy)
- Glitter
Tracklist
- Foreword (feat. Rex Orange County)
- Where this flower blooms (feat. Frank Ocean)
- Sometimes...
- See you again (feat. Kali Uchis)
- Who dat boy (feat. A$AP Rocky)
- Pothole (feat. Jaden Smith)
- Garden shed (feat. Estelle)
- Boredom (feat. Rex Orange County & Anna Of The North)
- I ain't got time!
- 911 / Mr. Lonely (feat. Frank Ocean & Steve Lacy)
- Droppin' seeds (feat. Lil Wayne)
- November
- Glitter
- Enjoy right now, today
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Lateralis84skleinerBruder
2021-03-07 22:13:31
Meine Lieblingsstelle ist das Runterkommen bei Garden Shed. Die Gitarre gibt mir Gänsepelle
smrr
2021-03-07 08:59:42
Gehe da mit, wobei ich "Igor" nur knapp dahinter sehe.
Debüt war noch ein bisschen gewollt, aber Ambition sollte man generell ja nicht unbedingt als etwas Schlechtes abtun. Entwickelte sich aber mit seinen nächsten Releases positiver als ich das anfangs gedacht und für möglich gehalten hatte.
Affengitarre
2021-03-07 08:43:37
Wird bei wärmeren Temperaturen zuverlässig wieder rausgeholt, mein liebstes Release von ihm. Dieser poppige Sound passt ziemlich super zur dunklen Stimme, die Features fügen sich super ein und die Qualität bleibt auch durchgehend noch. Die beiden Banger fallen soundtechnisch raus, lockern das sonst sehr ruhige Album aber gut auf.
Affengitarre
2020-08-12 23:20:56
Ganz tolles Album, ich liebe diese zurückgekehnte, warme Stimmung.
Come on
2019-05-22 19:31:02
Bei mir genau andersherum, flower boy find ich nach wie vor super, wo hingegen Igor mir irgendwie zu unfokussiert ist.
Klar das ganze ist super produziert, wenn ich das ganze aber mit Donald Glovers Awaken my Love vergleiche stinkt das hier irgendwie ab.
Mir ist klar das die beiden doch sehr verschieden sind, aber der Schritt von einem Rap Album zum Funk/Synth Album ist denoch ähnlich.
Und das funktioniert bei Glover deutlich besser, vielleicht liegts aber auch an der Stimme.
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