Jay-Z - 4:44

Universal
VÖ: 30.06.2017
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 5/10
5/10

Doofe Veröffentlichungsstrategien 400, bitte

2015 übernahm er das Musikportal Tidal, in welchem sich später der US-Mobilfunkanbieter Sprint mit 75 Millionen Dollar exklusive Rechte sicherte. Sein 13. Album "4:44" ist dadurch für Neu-Abonnenten von Tidal nur verfügbar, wenn sie zugleich bei Sprint unter Vertrag sind.

Er thematisiert es ja sogar selbst ganz wörtlich auf der Platte: "Niggas will rip your shit off Tidal just to spite you." Okay, Jay-Z, vielleicht ist es aber auch keine Boshaftigkeit, sondern Deine eigene blöde Strategie, Dein Album "4:44" zunächst nur einem lächerlich kleinen Kreis an Menschen zugänglich zu machen. Man ist ja schon krude Samsung-Deals von der letzten Platte gewohnt, ganz zu schweigen von diversen Investments in Mode und Sport, welche wenigstens auf dieser Seite des Atlantiks niemanden richtig interessieren. Es ist demnach eigentlich nur ein weiterer Eintrag im Logbuch des sinkenden Tidal-Schiffs. Oder? Gemach. Zum einen war "4:44" bereits eine Woche später auf anderen Plattformen stream- oder physisch kaufbar. Zum anderen ist Jay-Zs Nummer 13 sein aufregendstes Album seit einiger Zeit und um Längen besser als die Rohrkrepierer "The blueprint 3" und "Magna Carta... Holy Grail", die vor lauter Status-Protzerei die Musik komplett vernachlässigten. "4:44" ist hingegen etwas Einzigartiges.

Seit April 2008 ist er mit Beyoncé Knowles verheiratet, zusammen gelten sie als eines der mächtigsten Paare im Showbusiness. Auf ihrem Album "Lemonade" gab sie jedoch Gerüchten über seine angebliche Untreue neues Futter.

Es war bereits mehrfach zu lesen, dass "4:44" die Antwort an seine Angetraute sei – was maximal in Bruchteilen zutrifft. Jay-Z giftet nicht zurück, vielmehr gibt er sich in weiten Teilen reumütig und gesteht seine Fehler ein. "Yeah, I'll fuck up a good thing if you let me / Let me alone, Becky" – die Dame mit dem schönen Haar, die Beyoncé in "Sorry" in die Welt setzte, ist weiterhin ein Elefant im Raum. Wenn Jay im dramatisch unterlegten Titeltrack "I apologize for all the stillborns / 'Cause I wasn't present, your body wouldn't accept it" ist das sogar unangenehm nah an der erlittenen Fehlgeburt dran, geradezu voyeuristisch in der Erinnerung wühlend. Plötzlich scheint die Veröffentlichung im kleinen Kreis zunächst gar nicht so unlogisch. Für das musikalische Pendant zur lyrischen Gesundschrumpfung des Jigga zeichnet sich Produzent No I.D. verantwortlich, der "4:44" ein einheitliches Klangbild verpasst. Alte soulige Samples werden zerschnitten, verdreht und gepitcht, von – natürlich – Nina Simone über Sister Nancys "Bam bam" hin zu Neunziger-Koryphäen wie The Notorious B.I.G. und Fugees. Über die zehn Tracks entsteht ein überzeugend kohärenter Sound, vergessen ist das Trendgerenne der letzten Jahre. "4:44" klingt so intim und vertraut, wie es die persönlichen Themen erfordern.

Seit Beginn seiner Rap-Karriere ist er unter seinem Künstlernamen Jay-Z bekannt. Der Bindestrich ist dabei Spielball – er wurde 2013 weggenommen, 2017 dann doch wieder hinzugefügt.

Der "alte" Jay-Z, wenn man denn so will, ist natürlich nicht weg. Der im finanziellen Streit entfreundete Ex-Buddy Kanye West krieg seinen Diss und das Ticket zur Psychiatrie sogar innerhalb der ersten Minute der Platte mit auf dem Weg. Auch wenn – das muss bemerkt werden – Jay-Zs für HipHop stattliches Alter von 47 Jahren hier stellenweise hörbar ist. In "The story of O.J." wird dennoch fleißig geprahlt. "I turned that two to a four, four to an eight / I turned my life into a nice first week release date." Der Kontrast folgt unmittelbar, wenn er in "Smile" über die lange versteckte Homosexualität seiner Mutter erzählt und ehrlich ausruft, "Cried tears of joy when you fell in love / Don't matter to me if it's a him or her", bevor die Mama selbst ein Gedicht vorträgt, über das Trotzen gegen die Widrigkeiten. Momente wie dieser machen die Einzigartigkeit von "4:44" aus. Noch nie wirkte das New Yorker Rap-Urgestein so nahbar. Haben wir zwölf Alben lang doch nur gewisse Facetten zu hören bekommen? Wir können so viel Jeopardy spielen, wie wir wollen, keine der gegebenen Antworten führt so stark an die Kernfrage heran, wie "4:44" es tut:

Wer ist Shawn Carter?

(Felix Heinecker)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Kill Jay Z
  • Smile (feat. Gloria Carter)
  • 4:44

Tracklist

  1. Kill Jay Z
  2. The story of O.J.
  3. Smile (feat. Gloria Carter)
  4. Caught their eyes (feat. Frank Ocean)
  5. 4:44
  6. Family feud (feat. Beyoncé)
  7. Bam (feat. Damian Marley)
  8. Moonlight
  9. Marcy me
  10. Legacy
Gesamtspielzeit: 36:12 min

Im Forum kommentieren

Affengitarre

2019-12-04 20:41:02

Läuft heute zum 50. Geburtstag von Jay-Z, immer noch ziemlich gut. Tolle Produktionen (No I.D.) und stimmige Songs.

Achja, an alle Spotifynutzer: Der Großteil seiner Sachen ist wieder dort verfügbar.

hoppipolla

2017-07-15 18:29:49

Das Video zu Story of OJ ist echt stark, ebenso wie der Song.

Das Video erinnert ein wenig an Moby's "In this world", der Song ist in der Tat sehr stark.

Jay-Z Crowley

2017-07-15 14:59:56

*Raute mit den Händen form und selbstgerecht in die Kamera grins*

Pico

2017-07-15 12:20:47

Egal, was du nimmst, nimm weniger.

Wernsson

2017-07-15 02:48:01

Der Zustand der Musik anno 2017 dokumentiert vorliegende Scheibe bestens. Eine leere und kaputte, nach Auflösung bettelnde Gesellschaft kann keine Musik mehr hervorbringen, die lebendig ist. Jedenfalls nicht in der Abteilung "massenkompatibler Sound". Hier kann es nur noch Mucke für Zombies geben. Tote Mucke. Jay-Z ist ein Verbrecher, er verstösst permanent gegen den guten Geschmack und hilft mit seinem Output tatkräftig mit, die Welt noch schlechter zu machen.

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