Baio - Man of the world

Glassnote / Caroline / Universal
VÖ: 14.07.2017
Unsere Bewertung: 5/10
5/10
Eure Ø-Bewertung: 10/10
10/10

Sensibler Typ

Chris Baio ist ein Mann von Welt und als Bassist der New Yorker Indielieblinge Vampire Weekend schon viel rumgekommen. Sesshaft wurde er dann vor vier Jahren im Norden Londons, was die Zusammenarbeit mit seinen Kollegen nicht gerade erleichterte, ihm aber mehr Zeit fürs Grübeln ließ. Und irgendwie könnte man nun meinen, er sei in eines der Epizentren von 2016 gezogen: Es begann mit dem Tod David Bowies, des britischen Nationalheiligen, es folgten Terroranschläge in ganz Europa, der Brexit wurde beschlossen und mit Donald Trump ein US-Präsident gewähnt, der sich wenig um traditionsreiche Banden mit UK schert. Kein persönliches Schicksalsjahr also, aber eines, das Baio verwirrte, beängstigte, über das er tunlichst reden musste. Weil das leere Notenblatt ein nicht minder guter Platz für eine ausführliche Gesprächstherapie ist, schrieb er Songs und singt nun auf "Man of the world" über sein erlebtes 2016.

Zehn Songs sind es geworden, die nicht meinungsstark kommentieren und auch nicht detailversessen beobachten, sondern sehr zögerlich und zurückgenommen aufarbeiten. Ereignisse werden nicht genannt, aber nachgefühlt. Baio kreist um sich, er hadert viel, oder, in seinen Worten: "I'm such a sensitive guy / Even my tears cry." Denn "Sensitive guy" ist, wie auch "Man of the world" in Gänze ein stark Ichbezogenes Album. Eines, das davon ausgeht, dass Dinge nur geschehen, wenn jemand anwesend ist und sie beobachtet, also dieses ganze ontologische Dilemma, verpackt in süßlichen Electro-Pop. Dass zwei der Songtitel in Versalien gereckt wurden, irritiert, weil die Musik selbst ziemlich hibbelig, nervös und unruhig ist, gerade durch die hektischen Rhythmen und einer überbordenden Instrumentierung, die sich um kurze Synthesizerpassagen oder auch mexikanische Bläserparts dreht. Baio, der Sensible, ist vieles, in seinen Songs jedoch nicht GROSSGESCHRIEBEN SELBSTVERTRAUT.

Musikalisch hat er sich dabei nicht weit von seinem Debüt "The names fortbewegt: Wie 2015 gibt es ein minzgrünes Plattencover, das auf ein Hochbau stiert, und auch wieder dieses verwunderte Staunen innehat. Der kleine Mann gegen die große Welt, was somit Musik und den thematischen Überbau gut zueinander passen lässt, weil beides eklektisch und unentschlossen wirkt. Dabei hatte sein Debüt zumindest einen Hit: "Sister of pearl" stach als Single aus allen möglichen Radios direkt in die Tanzbeine. Der Song dauerrotierte auf verschiedenen Stationen, auch hierzulande. Wohlverdient. "Man of the world" ist dahingegen beliebiger, pluckert so vor sich hin, bis eben mal wieder die Bläser irritieren. "The key is under the mat" klebt penetrant wie Genesis. Baio wagt auch Soul-Abstecher, gerade in "PHILOSOPHY!", das funky übers Parkett schlittert und in seinem Imperativ dazu aufruft, endlich weniger zu denken, dafür mehr zu handeln. Aber noch bevor sich die Melodien fügen, womöglich eine Aufforderung wirkt, zumindest zu Tanzen, bricht Baio den Song wieder auf, ändert Rhythmik oder quietscht mit irgendeinem Instrument rein. Der Sensible scheint auch ein wenig hyperaktiv zu sein.

Eingängigkeit geht da verloren, mitsummen kann niemand und das Hören wird leicht mühselig, dabei ist es leider keine Mühe, der man sich stellen möchte. Dabei begann "DANGEROUE ANAMAL" noch so gut: fröstelnd, düster, im Spannungsaufbau Depeche Mode ähnelnd oder den jüngsten Singles von Massive Attack, mit tröpfelnden Synthesizern. Aber vielleicht ist es ebendas, was Chris Baio möchte, dass man partout nicht aus ihm schlau wird, dass er solo diese Spielwiese für Experimente hat, die ihm bei Vampire Weekend nicht ausgerollt wird. Was "Man of the world" auch nur zum netten Nebenher degradiert. Von der mäßigen Wirkkraft kann er da mit Will Butler verglichen werden. Bei dem war auch jeder froh, als er wieder mit Arcade Fire auf der Bühne stand.

(Maximilian Ginter)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • DANGEROUE ANAMAL
  • Sensitive guy

Tracklist

  1. Vin mariani
  2. The key is under the mat
  3. Out of tune
  4. PHILOSOPHY!
  5. Exquisite interlude
  6. DANGEROUE ANAMAL
  7. Man of the world
  8. Sensitive guy
  9. I'm not curious
  10. Shame in my name
  11. Be mine
Gesamtspielzeit: 44:23 min

Im Forum kommentieren

Armin

2017-07-06 17:28:09

Danke natürlich auch für den Hinweis.

Armin

2017-07-06 17:27:55

Also: Er hat tatsächlich nur zehn Songs bekommen. Es gibt aber laut Spotify & Co. wirklich einen elften. Ist ergänzt, ändert aber nach dem Hören nichts an der Bewertung.

Armin

2017-07-05 22:50:12

Danke, ich frag beim Rezensenten nach, ob er vielleicht eine falsche Tracklist bekommen hat.

Gordon Fraser

2017-07-05 21:20:35

Das Album hat 11 Songs, nicht 10. "Be Mine" fehlt.

Der Musikexpress gibt übrigens 4.5/6 Sterne. Trifft meinen Eindruck eher als PT, wie auch schon beim Debüt.

Armin

2017-07-05 21:07:14- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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