Lambert - Sweet apocalypse

Mercury Classics / Universal
VÖ: 12.05.2017
Unsere Bewertung: 7/10
7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
7/10

Wenn das letzte Stündchen schlägt

Es ist ja so: Gehen auf der Welt die Lichter aus, also wirklich alle Lichter, zeigt sich erst der wahre Charakter des Menschen. So zumindest die Theorie, die Literatur und Film gefestigt haben. Der Bankangestellte wirft die Krawatte von sich und muss den Zombies nun keine Bausparverträge mehr andrehen, sondern ihnen eine Kugel durch den Kopf jagen. Die Welt könnte eben immer noch ein kleines Stück beschissener sein, so der Trost für den Rezipienten. Wenn nun der Berliner Komponist und Pianist Lambert mit seinem vierten Album "Sweet apocalypse" das Ende aller Tage aufruft, dann lässt sich das erst einmal bei der modernen Klassik verorten. Auch hier gilt: Die Lage könnte schlechter sein.

Denn gerade in diesem Genre hat sich in den letzten Jahren viel getan, die Impulse von den Künstlern auf Erased Tapes und anderen Labels sorgen für eine Öffnung des Kastensystems Indie. Lambert selbst baute da Brücken mit seinen Re-Works, bei denen er Stücke von Oasis, Boy und anderen Musikern überführte. Wobei der Pianist selbst lieber von Klaviermusik spricht. Allerdings hat Lambert auf "Sweet apocalypse" selbst ordentlich zugelegt. Das Klavier steht als Instrument weiterhin im Mittelpunkt, die menschliche Stimme darf höchstens mal eine Melodie im Hintergrund hauchen. Gleich zum Auftakt jedoch mischen sich Cello und Drums in den Sound, dürfen das Thema aber nicht übernehmen.

Genau das Spiel wiederholt sich über die gesamte Platte: Lambert gibt mit seinem Klavier die Richtung vor. "Descending a staircase«" wirbelt filigran über die Tasten hinweg in die Tiefe, "A thousand cracks" schiebt stur und nachdringlich seine Töne in die Welt. Lamberts Apokalypse ist kein Knall, keine Explosion. Stattdessen trifft er die richtigen Momente, um eine wunderschöne Melancholie in jedes seiner Stücke zu legen. Trotz deutlicher Kanten muss sich der Sound erst über mehrere Hördurchgänge finden, formen, fühlen lassen. Die bittertrübe Ernsthaftigkeit jener Kollegen, die im Smoking vor dem Klavier sitzen, trägt Lambert nicht in seine Musik. Er sitzt dort mit überdimensionaler Maske. Und es ist vielleicht das beste Bild für diese rätselhaften Stücke, die zig Verstecke zu haben scheinen, kleine Irrgärten aus Melodien, um sich darin zu verlieren.

Alleine das Saxophon am Ende von "Aftermath", wie es da die letzten Sekunden kreucht und fleucht, seinen letzten Atemzug tut und wieder verschwindet. Lambert hat seine Stücke mit einer Leichtigkeit ausgestattet, führt hier durch den Weltuntergang aus der passenden Distanz, als ginge ihn die ganze Nummer ja doch gar nichts an. Die Schönheit ist eben trotzdem da. Selbst bei so einem unschönen Ereignis. Das ließe sich nun mit dem passenden Überbau sicherlich mit der Romantik verknüpfen, mit Komponisten der Klassik. Es wäre nur daneben. Denn Lambert hat längst seinen eigenen Stil, sein Streicheln über die Tasten, seine Wechsel, seine Pausen. Erst in "The end" schlägt er das letzte Stündchen an. Eine Melodie walzt sich durch diesen Song. Dann: Stille. Ende. Und dann darf die Welt mit diesem Album gerne wieder untergehen.

(Björn Bischoff)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Sweet apocalypse
  • Sleeping dogs
  • The end

Tracklist

  1. Sweet apocalypse
  2. In the dust of our days
  3. Parasites of ourselves
  4. A thousand cracks
  5. Signals
  6. Waiting room
  7. Descending a staircase
  8. Blik
  9. Licking dew
  10. Aftermath
  11. Sleeping dogs
  12. The end
Gesamtspielzeit: 36:44 min

Im Forum kommentieren

Akim

2019-10-12 08:16:39

Gestern live gesehen. Überragend! Kommt noch ne Rezi zum aktuellen Album?

Gomes21

2017-05-25 00:04:37

underrated

Armin

2017-05-24 21:24:31- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

Meinungen?

Otto Lenk

2017-05-05 13:32:44

Ein weiterer Titel: Waiting Room

https://open.spotify.com/track/0svC98ZzlbH8wy2xrNRELn

...und es bleibt unvergleichlich schön.

Otto Lenk

2017-04-28 18:28:45

Auf Spotify könnt ihr den zweiten Titel hören:

In the Dust of our Days

Wieder einmal ganz anders. Ganz eigenartig. Sehr schön.

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