Harry Styles - Harry Styles
Erskine / Columbia / SonyVÖ: 12.05.2017
Andere Richtung
Wenn Boys ihre Boygroups verlassen – oder die Band komplett auf Eis gelegt wird –, sind meist die gleichen Mechanismen zu beobachten. Am Anfang vorm Ende stand die einsetzende Erfolglosigkeit, Differenzen mit den anderen Jungs oder das Pochen auf die eigene Künstlerpersönlichkeit. Dann folgt meist ein schnell gemachtes Solo-Album mit angesagten Sounds und Produzenten. Zum Kehraus wartet die Versenkung und das Aufreiben an der Härte der Realität. Es hat schon seine Gründe, warum manche hochgeflogenen Sternchen nun den ehrenhaften Job des Strippers ergreifen oder auf die tausendste Reunion-Tour für mitgealterte Ex-Groupies gehen müssen. Kein Plan B nach all dem Ruhm ist ein Branchenstandard. So richtig geschafft haben es nur wenige, etwa Justin Timberlake oder Robbie Williams. Und das, obwohl die Voraussetzungen ziemlich deckungsgleich erscheinen: "optisch süß" und "gesanglich passabel" schreiten sie irgendwie fast alle durch dieses Kreisch-Mädchen-Universum. Nun schickt sich ein gewisser Harry Styles an, dem stets drohenden Schicksal kurzweiliger Teenie-Idole zu entkommen. Im Gegensatz zu seinem ehemaligen One-Direction-Kumpel Zayn klingt er nämlich nicht wie eine schlüpfrige Discokugel. Er gibt sich eher wie die spitzbübische Variante von toten und lebendigen Ikonen einer Generation, die noch ohne Smartphone klarkam.
Was Styles auf schlanken zehn Songs auspackt, ist nämlich aller Rock-Ehren wert. Es blubbern keine neumodischen Synthieflächen oder Halleffekte durch die Kompositionen. Der Sänger beschwört auch keine sexy Clubnacht im EDM-Style. Vielmehr zitiert sich die Platte durch 40 Jahre Rockgeschichte, ohne dabei flach oder unehrlich zu klingen. Er inszeniert sich als Art Nestbeschmutzer in einer Welt der Überangepassten. Der Verschlissene von Taylor Swift röhrt mal wie Wolfmother im rifflastigen "Kiwi", nähert sich Fleet Foxes in "Meet me in the hallway" oder orientiert sich am Songwriting der Beatles in "Sweet creature". Das hat alles zwei Hände, zwei Füße und einen Wuschelkopf. Kein Vergleich zu der Stangenware, die gerade bei Casting-Bands oft produziert wird. Und dann wäre da ja auch noch die erste Single-Auskopplung "Sign of the times", eine der unpeinlichsten Powerballaden seit Robbie Williams' "Angels" von 1997. Die Dramaturgie dieses Songs kratzt an der Perfektion. Aus Adeles Mund vorgetragen, flippte wahrscheinlich der halbe Erdball aus. Bei Harry Styles sind es zunächst vornehmlich die Fanscharen von früher.
Ganz abstreifen lässt sich die Vergangenheit dann doch nicht. Einige Nummern wie "Women" oder "Carolina" atmen nicht den ganz großen Spirit der Referenzjahre. Trotzdem wirkt diese Abkehr von den aktuellen Sounds, die Teenieherzen höher schlagen lassen, immer aufrichtig. Der junge Brite brilliert in seiner Rolle als Bowie-Bubi und greift live auch selbst zur Gitarre. Diese grundsolide Haltung macht ihn jetzt schon fast zu so etwas wie einem schwarzen Schaf zwischen all den glatten Schönlingen der Popwelt. Ohne die Nebeninformationen über den beschrittenen Karriereweg des 23-Jährigen wäre der Genuss der Platte wohl noch einfacher. Einfach mal testweise dem Vater ins Musik-Regal mogeln und abwarten, was passiert. Es dürfte gar nicht so unwahrscheinlich sein, dass der ergraute Siebzigerjahre-Rockfan anerkennend nickt. Damit und mit mehr solcher Alben steigen die Chancen immens, dass Styles um die menschenunwürdige Zweitverwertung seiner Prominenz herumkommt.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Meet me in the hallway
- Sign of the times
- Sweet creature
- Ever since New York
Tracklist
- Meet me in the hallway
- Sign of the times
- Carolina
- Two ghosts
- Sweet creature
- Only angel
- Kiwi
- Ever since New York
- Woman
- From the dining table
Im Forum kommentieren
Z4
2022-10-02 12:01:34
Wenn es stimmt was bei Discos gelistet ist, gibt es nur Promo-CD-Singles und eben diese limited Vinyl Single, was anderes wurde nicht hergestellt. Eine der CD-Singles gibt's für 34 Euro + Porto.
holgerc
2022-10-02 11:04:55
Hallo zusammen!
Kann mir jemand sagen, warum es scheinbar im ganzen Internet keine Single von Harry Styles - Sign of the time zu kaufen gibt? Ich finde nur die Sonderedition ab 200 € aufwärts.
Vielen Dank für eure Hilfe!
www
2017-09-26 09:04:25
Kann man wirklich hören, aber...is das eigentlich von Guy Chambers produziert? ^^
Mister X
2017-08-24 23:57:50
meet me in the hallway steht bei mir mittlerweile auf einer stufe (song des jahres) mit sign of the times. dazu die tolle performance bei dunkirk. wird wohl meine person des jahres. haette ich drueber gelacht, haette man mir dies vor 3 jahren vorausgesagt. schlimm wie starkt man von außen ausgebremst werden kann
@An den: An den Rezensenten:
2017-05-28 12:50:57
Doch, eine Dramaturgie kann nicht am Perfektionismus kratzen, das ist semantisch unsinnig.
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