Aldous Harding - Party

4AD / Beggars / Indigo
VÖ: 19.05.2017
Unsere Bewertung: 8/10
8/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
9/10

Me·ta·mor·pho·se

Welch drastische Verwandlung: Vor drei Jahren verzückte Aldous Harding mit einem leicht schüchternen Debüt. Damals versteckte sie sich unter einer Baseballcap, grummelte über die Düsternis der Nacht und sinnierte rundum den Menschen. Poetischer Folkrock zu Gothic-Flair, mit Abstechern ins Poppige. "Party" ist ein ganz anderes Kaliber, das wird schon im Video zur Vorabsingle "Horizon" gegenwärtig: Missmutig blickt die Neuseeländerin drein, schwarzbekleidet und so dunkel geschminkt um die Augen, als wäre sie eben aus irgendeiner "Game-Of-Thrones"-Grotte gestiegen, um jetzt mit ihren gefundenen Weisheiten um sich zu schlagen. Denn ja, das sieht aus, als würde sie zu Schlägen ausholen, wenn sie großgestisch erst den einen, dann den anderen Arm empor reckt und trotzige Worte spuckt: Da hast Du den Horizont, da wär' Deine Prinzessin, entscheide Dich und es wird doch nicht recht sein. Dazu verhallen Klavierakkorde, Streicher werden elektronisch besänftigt. Eine Klarinette ziseliert sich in den kargen Klang. Perfume Genius hilft dazu leise im Chorus aus. Harding beginnt den Song als eine junge Kate Bush, biegt dann aber auf eine schiefe Gasse ab, wiederum stärker Björk ähnelnd.

Wie diesen beiden Künstlerinnen hat es Harding die Natur angetan, die Takt gibt, Motive aufwirft, ein Sehnsuchts- und Leidensort bleibt. Ihr schwant eben nichts Gutes. Vögel singen bei ihr nicht, sie schreien leiderfüllt. Wasser, matschig und klumpig, muss fürs Wundenwaschen ausreichen. Harding sieht Sand und sieht bloß, wie dieser, ähnlich allem, was sie zu fassen versucht, durch ihre Finger zerrinnt, die Körner dabei Teil einer Insel bleiben, auf die sie sich fortwünscht. Soweit die Bilder. Harter Stoff. Und drastischer fällt ebenso die Musik aus. Schockvoller, deutlicher herausgearbeitet als noch auf dem schnuckeligen Debüt mit diesem Do-it-yourself-Schlafzimmer-Charme, kurzum: besser, weil so viel selbstsicherer. Und produziert von John Parish (PJ Harvey, Sparklehorse). In einem Interview meinte Harding, sie sei im Kern schüchtern, weshalb es für sie einfacher sei, ihre Songs wie eine Theaterschauspielerin überzustülpen, später abzuwerfen. Auf der Bühne ist sie nicht eine Andere, sondern mehrere Andere. Die nun fernab des Kontemplativen tiefer schaben kann.

Schöne Klaviermelodien, häufig mondscheinsonatenhafte, bilden mit den Akustikgitarren die Grundgerüste. Darüber decken einige elektronische Einspieler ab, verleihen der Musik dadurch eine breitere Fläche. Chor und Begleitstimmen strahlen hell über die Songs. Etwa ein Chor bestehend aus Kinderschreien in "Imagining my man". Ein Song aus der Spiegelperspektive eines Nick Cave. Denn die Selbstzweifel sind kein Weh-, eher ein Anklagen: "All my life / Hey! / I've had to fight to stay / You were right / Love takes time / Hey, hey." Zum Refrain hin braust der Song auf, natürlich in Moll und in Wundervoll. Abgeschlossen wird "Imagining my man" von einem ähnlichen Jazzsaxophon, wie es schon bei David Bowie zu hören war, als er seinen finalen, schwarzen Stern besiegelte. Solche Hommagen sind groß und überdeutlich, wie auch die an den klassischen, französischen Gainsbourg-Chanson mit "Swell does the skull", oder die in ebenjenem Song vorkommende Weltuntergangsstimmung der Walker Brothers. Eine zittrige, hohe, erhabene Kopfstimme lenkt dort ein, die kurz an Anohni denken lässt, aber es ist Perfume Genius, der den Song unterschwellig und abstrus an sich reißt. Weil Harding ihn lässt. "Living the classics" hing wohl als Arbeitsmotto über dem Türrahmen des Studios. Verdenken darf's niemand.

Harding nur aus diesem Konvolut an Referenzen zu verstehen, würde ihr kaum gerecht werden, dafür ist sie doch zu eigen und verschroben. Auch, weil beim Hören von "Party" das Gefühl aufkommt, hier könnte es sich mal wieder um eine dieser Künstlerinnen handeln, die das mit den Metamorphosen richtig ernst meinen, denen vorschwebt, sich immer wieder neu zu entpuppen, anstelle mit irgendetwas Erprobtem Rabatz zu machen. Künstlerinnen, die auf jedem Album ein wenig anders klingen und lieber damit mal daneben liegen, als sich nicht voran zu bewegen. Mit einer Party hat das wenig zu tun. Und mit einem Kater, also dem verballhornten, griechischem "Katarrh", was auch nur Schnupfen bedeutet, schon gar nicht. "Party" ist ein Rausch mit einschneidenden Folgen.

(Maximilian Ginter)

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Highlights & Tracklist

Highlights

  • Imagining my man
  • Horizon
  • What if birds aren't singing they're screaming

Tracklist

  1. Blend
  2. Imagining my man
  3. Living the classics
  4. Party
  5. I'm so sorry
  6. Horizon
  7. What if birds aren't singing they're screaming
  8. The world is looking for you
  9. Swell does the skull
Gesamtspielzeit: 38:44 min

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AliBlaBla

2023-04-14 17:55:54

Eine Platte wie ein Gedicht
10/10

myx

2017-12-13 15:48:32

Habe aufgrund der heutigen Maifeld-Derby-Ankündigung etwas ins Album reingehört. "Horizon" zum Beispiel hat schon etwas Fesselndes. Wird bestimmt ein tolles Konzert werden.

Armin

2017-05-11 14:36:55- Newsbeitrag

Frisch rezensiert.

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