
Fayzen - Gerne allein
Vertigo / UniversalVÖ: 12.05.2017
Private Sphäre
Die Literaturinteressierten da draußen erinnern sich vielleicht an den Roman "Esra" von Maxim Biller. Seinerzeit verboten, weil sich manche Romanfiguren nachweislich auf reale Personen bezogen und darin wirklichkeitsnahe Beschreibungen sehr intimer Natur zu finden waren. Kurzum: Persönlichkeitsrechte wurden juristisch geltend gemacht und siegten schlussendlich über die Kunstfreiheit. Wäre Farsad Zoroofchi ein ähnlich streitlustiger Schriftsteller, könnte ihn fast das gleiche Schicksal ereilen. Doch der Hamburger ist eher versöhnlicher Natur und schraubt unter dem Pseudonym Fayzen an der perfekten Mischung aus Singer-Songwritertum und Rap.
Was Zoroofchi mit einem schlagfertigen Enfant terrible wie Biller verbindet, ist die Klarheit, mit der er das eigene und fremdes Privatleben in der Kunst ausbreitet. Geprägt von den Jahren des Demotape-Verkaufs in norddeutschen Einkaufspassagen, packt er mehr Demut als Demütigendes in die meist reduzierten Songs. Der Plattenvertrag kam erst mit 30 – dem Spätstarter ist also durchaus zuzutrauen, noch größer rauszukommen, als es der Support-Status bei Bosse vermuten ließe. Der Vorgänger "Meer" war stellenweise zu beliebig poppig, doch auf "Gerne allein" öffnet sich Fayzen umfänglich der Melancholie und schließt da an, wo er bereits "Meer" rosarot als Astronaut einleitete.
Er hat diesen "Mondverlassen", irrt aber weiterhin in seinen Umlaufbahnen umher. Als Privatperson, als Musiker, als Künstler pendelt Fayzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen dem Sein und dem Werden. Seine Rap-Sozialisation hat er fast bis zur Unkenntlichkeit verschleiert. "Herr Afshin" und das Outro lassen noch am ehesten durchblicken, dass die musikalischen Wurzeln bei Illmatic und Max Herre und nicht ausschließlich bei den Geschichtenerzählern mit Akustikgitarre liegen. Der Himmel des Vielzweiflers hängt zwar voller Geigen, aber er verzweifelt nicht, sondern lässt den Hörer an den Huldigungen alter Helden genauso teilhaben wie am Tod des Vaters.
Dieses Album ist eine schonungslose Transparenzoffensive. Jede Note und jeder Satz wirkt glaubhaft. Das liegt wohl an den Namen, Orten und Begebenheiten, die der Musiker immer wieder zwischen griffige Metaphern montiert. Manche mögen es kitschig nennen, wenn "Wundervoll" einfach nur ebensolchen Menschen gewidmet ist. Was dadurch zum Ausdruck kommt, ist jedoch der Mut und die Konsequenz zur persönlichen Wahrheit. Mit den vielen Konkretisierungen gehen dann auch die ganz großen Themen einher: Existenz, Verlust, Sinn, Liebe, Gott. Nichts wirkt hier reißerisch oder verletzend. Ganz im Gegenteil: Fayzen gibt sich höflich und taktvoll. Hier zeigt sich der Unterschied zu Biller am klarsten. Der Autor nimmt anders als der Musiker keine moralische Rücksicht und den Skandal grinsend in Kauf. Dem einen die Klage, Fayzen die Kunst.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Mondverlassen
- Herr Afshin
- Vater
- 1000 Teile
Tracklist
- Intro (Quillagua)
- Mondverlassen
- Gerne allein
- Baumwall
- Herr Afshin
- Freunde
- Unschuldig
- Mein Herz ist traurig
- Blumen im Kopf
- Liebe machen
- Vater
- 1000 Teile
- Wundervoll
- Lina
- Outro (Quillagua)
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revilo
2017-05-23 13:58:08
Sehr schöne Platte. Unschuldig und liebe machen bleiben auf jeden fall hängen. Auch live sehr schön.
Ähhhh
2017-05-09 12:39:18
Pfui?
Armin
2017-05-04 22:26:12- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
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- Fayzen - Gerne allein (3 Beiträge / Letzter am 23.05.2017 - 13:58 Uhr)
- Fayzen - Meer (3 Beiträge / Letzter am 17.06.2013 - 17:45 Uhr)