
Creeper - Eternity, in your arms
Roadrunner / WarnerVÖ: 24.03.2017
Schwarzseher mit Sternchen
Am besten bemüht man die Technik des "Reframings", um sich dem Phänomen der Band Creeper zu nähern. Bei dieser aus der Psychologie stammenden "Neurahmung / Umdeutung" wird einer Situation oder Sache eine gänzlich neue Bedeutung zugeordnet. Ziel ist eine Veränderung des Blickwinkels und Neubewertung einer als unangenehm empfundenen Situation. Auf die britischen Gothic-Punker Creeper angewendet, würde aus dem eher negativ besetzten "Ich sehe schwarz“ etwas rundherum Positives. Zum Beispiel das Album "Eternity in your arms" mit einem ganzen Schwung an Hooks, die einfach zum Heulen schön und derart catchy sind, dass es fast schon unheimlich ist.
Zwar tragen Creeper schwarze Klamotten am Körper und düsteren Kajal unter den Augen, dafür aber die strahlende Sonne im Herzen. Zumindest glänzt Sänger Will Gould mit einem goldenen Kehlchen und Melodien, die seine Texte über Trennung, Abschied, Zurückweisung und Probleme jeglicher Couleur schnell vergessen lassen. Schon der Opener "Black rain" ist ein euphorisches Juwel, welches zunächst mit molllastigen Klavierakkorden, Chören und einem pathetischen Intro der Keyboarderin und zweiten Sängerin Hannah Greenwood eine falsche Spur legt, ehe der Regenbogenrefrain den ganzen feuchten Trübsinn zurück in die Wolken schickt. Das ist High-End-Kitsch mit Sternchen, over the top und absolut mitreißend. Und gleichzeitig ein Benchmark des Albums, der mit jedem Song regelmäßig wieder erreicht wird. Die Berufs-Depris aus Southampton ballern zwar mit astreinen Punk-Rock-Krachern wie "Poison pens" um sich, streuen aber auch immer wieder Breaks und Tempiwechsel ein und vergessen dabei niemals ihre Songs mit einer Schippe Pathos einzupudern, etwa bei "Hiding with boys". Die Stilmittel sind zahllose Schmacht-Chöre, hallig-gallige Lebensweisheiten, getragen-schleppende Schunkel-Teile und sogar der eine oder andere Piano- oder Violinen-Einsatz. Der Weg von Creeper ist nicht der von weinerlichen Emo-Boys, sondern der von ehrlichem Männer-Blues. Zeitweise scheint es, als würden Meat Loaf und Muskelzwerg Glenn Danzig mit den Ramones eine sie-hat-mit-mir-Schluss-gemacht-Sause feiern. Besonders "Down below" erinnert in der Strophe frappierend an die Lederjacken-Punk-Rocker aus New York.
Das Sextett mixt über Albumlänge einen unglaublich unterhaltsamen Cocktail aus Wanderklampfen-, Punk-, Rock- und teils sogar Musical- und Hardcore-Elementen zusammen. Es ist trotz des immer wieder artikulierten Trübsinns eine wahre Freude, der Band beim Lamentieren über das ungerechte Leben zuzuhören. Auch wenn beim ergreifenden "Crickets" tatsächlich eine Träne verdrückt werden darf. Die theatralische Taktik trifft dabei stets ins, nun ja, Schwarze. Ob nun "Suzanne" mit einem The-Rocky-Horror-Picture-Show-Glam-Faktor überrascht oder am Ende mit "I choose to live" noch einmal das ganz große Emoji ausgepackt wird – "Eternity in your arms" ist perfekter Pop, der sich als Punk tarnt. Die großen Gefühle wirken bei Creeper zu keiner Zeit unglaubwürdig oder kalkuliert. Nein, jedes "Uh-oh" ist ein Ausdruck der Freude am Spiel mit der Goth-Dark-Punk-Szene und lässt am Ende selbst Genre-Gegner auf die dunkle Seite der Macht wechseln.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Black rain
- Hiding with boys
- Down below
Tracklist
- Black rain
- Poison pens
- Suzanne
- Hiding with boys
- Misery
- Down below
- Room 309
- Crickets
- Darling
- Winona forever
- I choose to live
Im Forum kommentieren
captain kidd
2022-04-18 19:30:14
Noch immer: wow.
captain kidd
2020-07-31 17:27:22
Heute erschienen. Der Anfang sehr stark, dann etwas schwächer. Leider haben sie kaum mehr diesen Übermut vom Debüt. Aber trotzdem sicherlich das Rockalbum des Jahres.
captain kidd
2020-05-03 23:49:26
Neues Album. Singles leider deutlich schwächer. Aber so langsam kommen auch die. Bin gespannt.
captain kidd
2018-12-29 17:05:44
Mal wieder gehört: Nichts von der Faszination verloren. Killer.
Affengitarre
2018-07-22 21:09:16
Hab in die Singles mal reingehört, aber mit der Stimme habe ich doch Schwierigkeiten.
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