Mark Lanegan Band - Gargoyle
Heavenly / [PIAS] Cooperative / Rough TradeVÖ: 28.04.2017
Schwebend unwirklich
"Sänge Mark Lanegan über Zahnpasta, ich würde putzen", gab Josh Homme, Kopf der Queens Of The Stone Age, vor einigen Jahren zu Protokoll. Da das knorrige Urgestein aus Seattle noch keinen "Toothpaste blues" oder Vergleichbares auf Platte gepresst hat, sollte man sich gegebenenfalls Sorgen um Hommes Mundhygiene machen. Das ist an dieser Stelle jedoch nicht das Thema – schon gar nicht, wenn es mit Lanegans zehntem Album "Gargoyle", dem vierten unter dem Moniker Mark Lanegan Band, deutlich Angenehmeres zu besprechen gibt. Seine Stimme – das hat man mittlerweile oft genug gesagt – kann tatsächlich alles Denkbare veredeln. Die Vorgänger "Blues funeral" und "Phantom radio" waren zwar nicht nur deshalb immer noch deutlich über dem Durchschnitt, klammerten sich aber stellenweise doch zu sehr an die Strahlkraft ihres Schöpfers, tapsten außerdem stellenweise unbeholfen in elektronisch geprägte Experimente.
"Gargoyle" ist derweil keinesfalls ein Rückschritt. Es der Schritt vorwärts in die Perfektion des mit "Blues funeral" eingeschlagenen Pfades. Auch wenn "Band" auf dem Cover steht, die klassische Besetzung aus Gitarre, Bass und Drums hört man nur selten, stattdessen fährt Lanegan einen Mix aus Shoegaze, Bluesrock und Elektrobeats auf, der so vollkommen schlüssig wirkt, als hätte der 52-Jährige noch nie etwas Anderes gemacht. Es wäre falsch zu sagen, dass "Gargoyle" dadurch keine schnellen Hits mehr bereithält. Die stets in lärmige Refrains ausbrechende Single "Nocturne" oder das verschwommen rockende "Beehive" brauchen keine ausdauernde Anlaufzeit, um zu gefallen. Auch "Death's head tattoo" holt gleich am Eingang in die Welt des Mark Lanegan ab und schlägt die Brücke zu den elektronischen Pulsschlägen von "Phantom radio", zeigt sich im Gegensatz aber um einiges dichter.
Doch die wahre Faszination von "Gargoyle" rührt daher, wie sehr sich alle Songs einer Gesamtatmosphäre unterordnen. Vielleicht abgesehen vom beseelt swingenden "Emperor", welches noch am ehesten an alte Crooner-Zeiten erinnert, bedienen sämtliche Stücke eine nächtliche Stimmung, die zu Spaziergängen in der Dunkelheit einlädt, zum Beispiel an bläulich beleuchteten kalten Winterabenden. "The ceremony begins / On the bandstand / The conductor demands", beschreibt Lanegan in "Goodbye to beauty" die Szenerie, der Atem vor seinem Mund sichtbar, während sich unwirkliche Reverbeffekte elegant im Hintergrund räkeln. Trotz seines Titels passt "First day of winter" mit seiner warmherzig schimmernden Ruhe dagegen eher in eine Frühlingsnacht. Und zwischen diesen Polen fällt "Drunk on destruction" in endlos tiefe Kissen aus Gitarrenspuren, die selbst My Bloody Valentine glücklich gemacht hätten. "Feel like I'm fading away."
Niemand hatte die Befürchtung, dass Lanegan überhaupt ein schwaches Album aufnehmen kann. Wie schon erwähnt: Mit solch einer Präsenz gesegnet kann man eigentlich nicht verlieren. Es drohte aber zumindest ein bisschen das Einrosten im gesetzten Midlife-Alter, das Stützen auf funktionierende Formeln. "Gargoyle" ist nun wahrlich keine Revolution im Lanegan-Sound, zeigt jedoch, dass es nur etwas Feintuning und ein passendes Set von Songs brauchte, um die Formkurve komplett nach oben schnellen zu lassen. Kleine Maßnahme, große Wirkung: Es ist seine beste Platte seit "Field songs", wenn das überhaupt reicht. "Clean, your rugs unfurl / Light up the world", singt Lanegan im ausladenden, schwebenden Closer "Old swan". Und wer weiß, vielleicht ist es eine Metapher über strahlend weiße Zähne. Du darfst jetzt wieder putzen, Josh.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Nocturne
- Blue blue sea
- Sister
- Goodbye to beauty
Tracklist
- Death's head tattoo
- Nocturne
- Blue blue sea
- Beehive
- Sister
- Emperor
- Goodbye to beauty
- Drunk on destruction
- First day of winter
- Old swan
Im Forum kommentieren
Vive
2024-04-14 16:48:46
@velvetcall
das freut mich wirklich total!
ich bin mit seinem "Sing backwards and weep" eingestiegen, also gar nicht über die musik. aber wie er dort schreibt, hat mir absolut imponiert. die Ehrlichkeit, und wie real er es halt keept.
das Hörbuch hab ich ungefähr viermal gehört.
nach seinem Tod hab ich dann von mehreren Seiten gehört, dass es am ende des Buchs keineswegs vorbei war mit den drogen, aber was du jetzt erzählst, gibt mir Hoffnung, dass es doch zumindest einige zeit heile welt war.
devil in a coma hat mich auch wirklich fertig gemacht, zumal er hier nochmal einen brutalen Leidensweg beschreibt, nur um quasi direkt danach zu sterben.
hier ebenfalls fanboy.
Eiersalat
2024-04-14 15:44:16
Am Mikro wirklich ein Gott gewesen, für mich immer ne Mischung aus Jim Morrison und Tom Waits, rein stimmlich. Und eben alles sehr elegant aber rau. Ich höre regelmäßig ein paar seine zahlreichen Live-Bootlegs, ich weiß aber auch gar nicht mehr wo ich die herhabe. Jedenfalls höre ich am liebsten die Aufnahme "The Night Porter, Live In The House Of The Lord, Union Chapel, London, 18/8/2010".
Kennt das auch jemand? Ich spreche dazu meine vollste Empfehlung aus.
Irgend ein Dude hat das auch endlich mal hochgeladen. Macht euch nen guten Whiskey (for the holy ghost) auf und rein damit.
Legende!
VelvetCell
2024-04-14 15:44:09
Wie fuzzmyass sagt: super freundlich! Ich war wirklich geflasht von seiner warmherzigen Ausstrahlung. Viel zu viele Jahre hat er sich ja nicht nach den Konzerten gezeigt. Wohl, weil er sich auf die Suche nach Stoff machen musste. Ich hatte bei unserer ersten Begegnung nicht gedacht, dass er so lebendig rüberkommt, sondern eher ein blasses Wrack erwartet. Aber nein! Nach Jahren, wo ich immer damit rechnete, dass Lanegan den Drogentod stirbt, war ich nun erleichtert. Das werde ich nie vergessen.
Klingt voll nach Fanboy. Bin ich aber auch!
Und seine Autobiografie zählt mittlerweile zu meinen Lieblingsbüchern.
Vive
2024-04-14 15:34:31
Was, der hing einfach so am merch stand rum!? Oh Mann, was hätt ich den gern mal getroffen
fuzzmyass
2024-04-13 18:18:52
Ja, die kurzen Treffs mit ihm am Merch Stand waren jedes Mal ein Genuss - super freundlich, herzlich und gut aufgelegt... habe da auch diverse Signierte CDs, Platten, Poster....
Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.
Referenzen
Spotify
Weitere Rezensionen im Plattentests.de-Archiv
Threads im Forum
- Mark Lanegan Band - Bubblegum (83 Beiträge / Letzter am 26.08.2024 - 19:47 Uhr)
- Mark Lanegan Band - Gargoyle (30 Beiträge / Letzter am 14.04.2024 - 16:48 Uhr)
- Mark Lanegan Band - Blues funeral (24 Beiträge / Letzter am 11.05.2020 - 02:17 Uhr)
- Mark Lanegan Band - Somebody's knocking (17 Beiträge / Letzter am 29.10.2019 - 01:11 Uhr)
- Mark Lanegan Band - Still life with roses (1 Beiträge / Letzter am 05.07.2017 - 18:07 Uhr)
- Mark Lanegan Band - A thousand miles of midnight (3 Beiträge / Letzter am 19.02.2015 - 11:28 Uhr)
- Mark Lanegan Band - Phantom radio (20 Beiträge / Letzter am 05.11.2014 - 11:03 Uhr)