
Arca - Arca
XL / Beggars / IndigoVÖ: 07.04.2017
Wie Porzellan
Kollege Spremberg erkannte es schon 2014 genau richtig: Als seinerzeit "Xen" erschien, das Debüt von Alejandro Ghersi alias Arca, lautete die Überschrift zur dazugehörigen Rezension "Der springende Punkt". Eklektische Electronica, die zudem zwischen den Extremen wandelte, ein Künstler, der sich nicht festlegen wollte und der sich lieber als mysteriöse Schattenfigur aus der Ferne zuschauen ließ – gewollt unantastbar war das, diese Distanz als Stilmittel. Drei Jahre und ein weiteres Album später steht Arca nun mit neuem Material vor der Tür. Der Unterschied: Statt auf Unnahbarkeit setzt der Gute jetzt auf Nähe. Mehr noch – der gebürtige Venezolaner rückt seinen Hörern regelrecht auf die Pelle.
"Arca", sein selbstbetiteltes drittes Album, ist klar das beste in seiner bisherigen Diskografie und zudem das erste Studiowerk, auf dem man durchgängig seinen eigenen klaren, sanften Gesang zu hören bekommt. Noch immer hat der fast 27-Jährige einen Hang zu den Extremen, durchleuchtet jedwedes Gefühl nun aber von allen Seiten und mit grellem Neonlicht. In einem Interview mit dem deutschen Künstler Wolfgang Tillmans offenbarte Arca unlängst, dass er sich vor seiner eigenen tiefen Traurigkeit nicht mehr verstecken, sondern sich mit ihr vereinen wolle. So umgibt die Songs bei aller elektronischen Kühle immer auch eine merkwürdige Form von Zerbrechlichkeit. "Arca" ist musikalisches Porzellan: Das fragile "Anoche" schwebt stets zwischen Himmel und Hölle, das verdeutlicht schon der Videoclip, der so bedrückend wie bezaubernd daherkommt. Wohl fühlt man sich hier nicht. Aber irgendwie aufgehoben. Akzeptiert.
Diese Ambivalenz ist fast überall spürbar. Der nach links und rechts austretende Rave von "Castration" gibt sich jähzornig und barsch, lässt aber immer wieder ein Keyboard über die erhitzte Stirn streicheln. "Urchin" baut sich Stein für Stein auf, noch etwas höher, noch imposanter, und lässt doch die eine oder andere Lücke zum Luftholen – oder als Notausgang? Derweil kokettiert "Desafío" zumindest anfänglich mit Neunzigerjahre-Euro-Trash, scheint sich gerade in seiner zweiten Hälfte aber zu verdoppeln oder gar zu vervielfachen, legt stets noch eine Schicht nach, begräbt sich selbst und bleibt am Ende unter Donnergrollen und Regenschauern endlich liegen. Ausgepowert, aber alles andere als leblos.
Von einem ähnlichen Kaliber ist auch "Sin rumbo", das bereits als Abschlusstrack des 2016 veröffentlichten "Entrañas"-Mixtapes bekannt wurde und, wie man im Nachhinein nun weiß, das Fundament für "Arca" legte – und das nicht nur, weil Ghersi hier selbst am Mikrofon stand. Am allerbesten aber wird das Album kurz vor Schluss mit einer gewaltigen Doppelspitze. "Fugaces" ist düster-kitschiger Neo-R'n'B, der das Herz in tausend Scherben zerspringen lässt und sie dann eigenhändig wieder aufhebt und zusammenklebt, das darauffolgende "Miel" hingegen von einer markant-melancholischen Schönheit, wie man sie sonst fast nur von Sigur Rós kennt. Das ist Zuckerbrot und Peitsche, die fast so scharf um die Ohren saust wie im Eineinhalbminüter "Whip", und doch kommt man hier kaum umhin zu flehen: Mehr davon. Bitte, bitte.
Highlights & Tracklist
Highlights
- Sin rumbo
- Desafío
- Fugaces
- Miel
Tracklist
- Piel
- Anoche
- Saunter
- Urchin
- Reverie
- Castration
- Sin rumbo
- Coraje
- Whip
- Desafío
- Fugaces
- Miel
- Child
Im Forum kommentieren
Der Untergeher
2017-07-13 15:13:11
Irgendwie bis jetzt ignoriert. War ein Fehler. Sehr interessante Musik.
edegeiler
2017-05-08 23:07:23
Seeeeeehr krasse Musik!
Mister X
2017-05-08 21:14:46
Wie kann P4K da BNW zuecken ? Fuerchterliche Musik. Das ist doch keine richtige Musik ! Der Musikexpress geht diesen Mist-Trend auch schon seit einigen Jahren mit....
Armin
2017-04-19 20:53:30- Newsbeitrag
Frisch rezensiert.
Meinungen?
Plattenbeau
2017-03-27 10:25:08
Das neue Material erinnert an Anohni, besonders was den Gesang angeht, insgesamt weniger eingängig. Dieser Falsett-Gesang ist aber nicht wirklich mein Ding.
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- Arca (1 Beiträge / Letzter am 04.08.2017 - 12:37 Uhr)